28. Dezember 2008

Gilbert Kaplan und die Zweite Symphonie Mahlers

In der US-amerikanischen Musikszene spielt sich ein bemerkenswerter Skandal ab. Gilbert Kaplan, ein musikbegeisterter Millionär mit einer Vorliebe für die Auferstehungssymphonie, hat diese schon wieder dirigiert. Das tut er schon seit 26 Jahren, inzwischen bezahlte er sich schon 50 mal dieses Vergnügen und durfte sie sogar zweimal aufnehmen.

Diesmal mussten am 8.12.2008 die New Yorker Philharmoniker leiden, allerdings diente das alles zwei guten Zwecken - einmal als Jubiläum der amerikanischen Erstaufführung durch Gustav Mahler selbst und zweitens für die Rentenkasse des Orchesters. Dutzende Orchester haben sein Dirigat über sich ergehen lassen und geschwiegen. Das Geld brauchen sie alle. Diesmal hat es Krach gegeben. Der zweite Posaunist des Orchesters hat in einem eigens dafür aufgemachten Weblog die Unfähigkeit des selbsternannten Mahlerpropheten am 16.12.2008 angeprangert. Am nächsten Tag übernahm die New York Times. Sofort kam dem guten Freund Mr. Kaplan der bekannte Kritiker Mr. Lebrecht zur Hilfe. In verschiedenen Blogs sind inzwischen mehrere Hunderte von Kommentaren erschienen. Spannende Lektüre!

Zur Sache selbst: Kaplans Aufnahmen bezeugen zum xten Mal, dass erstklassige Orchester auch ohne einen Dirigenten einigermaßen zusammen spielen können. Er bringt durch seine Probenarbeit manche Details zum Klingen, die interessant und als Ergänzung zum Partiturlesen dienlich sind. Das Resultat ist leider vollkommen uninspiriert und entspricht der gängigen Art, die Musik dem Text entlang, handwerklich genau darzubieten. Das ist schon schlimm genug, wenn uns das von professionellen Dirigenten angetan wird. Jetzt kommt das noch von Seiten der zahlenden Amateure. Armes Publikum, das dazu noch von Musikkritikern im Dienste der Industrie zum Narren gehalten wird.

Andererseits ist es nun mal so, dass Orchester kaum überlebensfähig sind und solche Mäzene gut gebrauchen können. Wäre Kaplan bescheiden genug, um seine Position als zahlender Amateur nicht zu verlassen und sich nicht zu viel aufzuspielen, hätte es auch den Zwischenfall nicht gegeben.

Danny Kaye hat mit dem selben Orchester im Jahre 1981 eine köstliche künstlerische Präsentation abgegeben. Seit neuestem ist sie auch über Youtube zu geniessen:



Mahlers Zweite hat etwas Besseres verdient.

Lektüre und Links:

Der Artikel von David Finlayson (Link), mit dem die Story begann (mit 185 Kommentaren und weiteren Postings zum selben Thema); der Artikel von Daniel J. Wakin in der "New York Times" (Link); zwei Artikel von Norman Lebrecht, dem Musikkritiker (Link und Link), der dem Posaunisten empfohlen hat, die Klappe zu halten; vernichtende Äußerungen anderer Orchestermusiker (Link - siehe Kommentare!), die vor dem Auftritt des Posaunisten geschrieben worden sind; die genauso negative Aussage eines anderen Orchestermusikers (Link); Unterstützung für den Posaunisten von einem wiederum anderen Orchestermusiker (Link); eine Diskussion zum Thema zwischen den Orchestermusikern noch einmal anders (Link), die Meinung eines dirigierenden Musikers (Link).

In vielen Kommentaren bringen Kollegen ihre Empörung zum Ausdruck, dass das Niveau so nach unten gefallen ist, dass nicht einmal die Kritik bereit ist, zwischen den großen Dirigenten und Imitatoren zu unterscheiden. Die Namen der zweiten Art werden auch genannt - darunter Maris Jansons, Daniel Harding, Gustavo Dudamel.

Warum nur hat die deutsche Presse bis dato das Thema für sich noch nicht entdeckt?

8. November 2008

Reichs Rache

Der Artikel wurde in der "Jüdischen Zeitung" (November 2008) publiziert, von der Redaktion leider wieder verschlimmbessert. Hier folgt das Original:

Reichs Rache

Ein Medienspektakel sondergleichen - seit Wochen ist es in aller Munde und macht genauso viel Wirbel wie zu Beginn. Marcel Reich-Ranicki hat die Annahme des Fernsehpreises für seine TV-Präsenz verweigert - für die einen eine Sternstunde des Fernsehens (ZDF-Intendant Schächter), für die anderen eine Beleidigung (Schauspielerin Ferres) oder gar ein Zeichen schlechter Erziehung (Sportmoderatorin Müller-Hohenstein). Unterm Strich: Ein Skandal.

Er macht sehr viele betroffen, unter anderem auch Menschen, die seit Jahren ohne Fernseher auskommen und sich dabei glücklich schätzen. Endlich können sie laut sagen: Wir haben Recht und ihr sollt uns folgen. Und die Statistik bestätigt: Die Unzufriedenheit mit dem Programmangebot wächst und äußert sich in der steigenden Zahl von GEZ-Abmeldungen. Dazu kommen wir noch.

Schon am nächsten Tage meldet sich der Medienspezialist für Skandale, die Bildzeitung. Der weitere Verlauf entspricht dem typischen Bild-Management – täglich erschienen Berichte über neue Wendungen, immer weiter vom Thema entfernt. Reich-Ranicki traf sich nach dem Eklat mit dem Multimillionär-Moderator Thomas Gottschalk für eine halbstündige Sendung, die einige Tage später ausgestrahlt wurde. Die Auseinandersetzung zwischen Elke Heidenreich (Moderatorin der Sendung „Lesen!“) und dem ZDF fand mehr Aufmerksamkeit als das Hauptthema (Zustand der TV-Programme), und bald erreichte die Stimme von Günter Grass die Medien - er will seinem Erzfeind auch eins auswischen, bevor es zu spät ist. Passend dazu wird in Zeitungen die Werbung mit einem Foto des polternden MRR publiziert, dann noch eine. Danach schickte man die Sendung mit Heidenreich ins Nirwana – und wieder scheiden sich die Geister, hier pro ZDF als Arbeitgeber, der keine Kritik zulassen darf, und dort gegen den Sender, der keine Kritik ertragen kann.

Reich-Ranicki lässt Heidenreich im Regen stehen: Er kritisiere nur die Preisverleihungsshow und nicht das gesamte Fernsehen. Inzwischen melden sich weitere Ihro und dero Prominenzen zu Wort, worauf das Publikum nur ach und och verteilen kann. Erst nach drei Wochen wird das Szenario abgeschlossen – der Boulevard hat einmal mehr gewonnen. Am Ende bleibt nur eine Frage: Warum nur hat niemand einen gewissen Martin Walser dazu interviewt? Den, der für den Tod eines Kritikers zuständig ist?

Jetzt stellen wir uns für eine Minute vor, die Aufzeichnung der Selbstbeweihräucherung wäre von Profis vorbereitet gewesen, die dazu noch einen Schuss Menschlichkeit und Schlauheit besessen hätten. Das könnte ungefähr so ausgesehen haben: Zu Beginn der mehrstündigen Inszenierung trifft die Regie eine Absprache mit der Moderation und dem 88-jährigen MRR, nach dem Motto: "Lieber Literaturpapst, das wird zu mühselig für Sie, wir nehmen Ihre Laudatio und die Preisübergabe gleich zu Beginn auf, Sie können den Saal verlassen, und wir richten das bei der Endmontage am Ende der Sendung als eine gebührende Krönung aus usw." Alle wären glücklich und es hätte keinen Skandal gegeben. Die Qualität des Fernsehens wäre zwar dieselbe geblieben, sie wird aber auch ohnehin dieselbe bleiben, nur dass nun einiges in Scherben liegt. Dazu gehört aus meiner Sicht in erster Linie das Renommee von allen leitenden Persönlichkeiten, die am Abend der Aufnahme anwesend waren. Darin hat Heidenreich (in der FAZ) Recht: Keiner hat sich vor dem alten Greis für die für ihn grausigen Stunden entschuldigt, bis jetzt nicht. Wortwörtlich: Sein Gang zur Bühne war von Standing Ovation begleitet, was will er noch? Keiner von ihnen hat sich die Mühe gegeben, sich in seine Lage hineinzuversetzen. Ein Armutszeichen!

Weitere Glieder dieser Kette sehen nicht besser aus. Der ZDF-Intendant nickt im Kamerabild dem Vorschlag Gottschalks zu, bei einer einstündigen Sendung mitzudiskutieren. Es gibt keine solche Sendung, nur Smalltalk zwischen Reich-Ranicki und Gottschalk. Was bei der Endmontage der Preisverleihung mit verharmlosenden Kürzungen unternommen wurde, macht man hier mit Kameraführung und Sounduntermalung noch deutlicher, nämlich dass alles nur eine Salonunterhaltung aus alten Zeiten oder gar eine Clowneske ist - bitte nicht ernst nehmen. Sarkasmus und Spott strömen, das eigentliche Thema wird vom Fernsehen erfolgreich beschwiegen und verdrängt. Exemplarisch dafür stehen einige Sprüche Gottschalks, insbesondere nachdem Reich-Ranicki den Saal verließ: „Jetzt sind wir wieder unter uns und können weitermachen“.

Das Fernsehen hat eine nicht jedem bewusste Eigenschaft: Es stellt eine persönliche Beziehung zum Gesicht auf dem Bildschirm her. Zuschauer bekommen das Gefühl, die TV-Personen intim zu kennen, das ist eine durchaus emotional geladene Annäherung, auch wenn sie einseitig ausfällt. Das einigt das Medium mit der Boulevard-Presse. Hier werden Idole aufgebaut, aktuell sind das Moderatoren, denen eine Vorbildfunktion aufgetragen wird und über die aufs heftigste diskutiert werden kann. Dazu kommt die zweite Komponente, die allerdings nicht nur TV und Yellow-Press gemeinsam ist, sondern sich mehr und mehr durch die gesamte Gesellschaft zieht: Häme und Schadenfreude.

„Fertigmachen“ wird zum Volkssport, zum Inhalt von unzähligen Shows, zum Hintergrund der Berichterstattung. Die Karnevalisierung ersetzt die Vermittlung wesentlicher Inhalte. Egal, mit welchem Sinn im Hinterkopf einer ins Medium einsteigt, das Medium verarbeitet und inkorporiert ihn nach eigenen Gesetzen. Die Montage der Bilder fällt hier mehr ins Gewicht als das Gesagte – z.B. wenn ein weises Wort eines Redners mit dem dummen Blick seines Zuschauers zusammengeschnitten wird. Und wenn alles farblos und trivial ist, braucht das Medium einen scharfzüngigen Pauschalisierer, der provoziert und teilt. Davon lebt das Fernsehen. In den Augen der TV-Macher sind das die Sternstunden, unabhängig von den Inhalten der Kontroverse. Insofern macht Reich-Ranicki ganz im Sinne des Mediums mit, paktiert mit Intendanten auch dann, wenn sie ihn sitzen lassen, und beteiligt sich am Blödsinn, auch wenn er sich hin und wieder rächt und das als Blödsinn benennt. Intendanten merken nie, wenn sie jemanden demütigen. So werden sie nie und nimmer etwas ändern, weil es sich immer ein Reich-Ranicki findet, der mitmacht. Aus seiner subjektiven Sicht vertritt er das Gute auf dem Feld der Blöden.

Es gibt aber noch eine Komponente, die bisher kaum den Weg in die Zeitungen gefunden hat und sich vielleicht eher in den vielen Leserzuschriften im Internet spiegelt (einfache mündige Menschen sind hier irgendwie weiter als Profischreiber). Die in ihrer Dimension einmalige Diskussion, die wochenlang das lesende und schreibende Publikum beschäftigt, ist eine Ersatzdebatte. Im Protest Reich-Ranickis erkennt die vox populi sich selbst wieder, sie bäumt sich dagegen auf, manipuliert zu sein, von denen, die da oben sind. Reich-Ranicki hat dieses diffuse Unwohlsein mit seinem Auftritt exemplarisch akkumuliert.

In den Leitmedien wird die Kritik des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das der Programmpolitik der privaten Sender gefährlich nah gekommen ist, durch die Personalisierung und Boulevardisierung des Konfliktes ersetzt. Nur von Harald Martenstein („Intelligenz und Kritik sind verdächtig geworden, fast überall in den Medien“), Jörg Magenau („Das Fernsehen macht Bücher tendenziell unwichtiger und wertet die Bedeutung der Autoren auf. Es verwandelt Schriftsteller in Selbstdarsteller, die sich wie Verkäufer ihrer selbst verhalten müssen“) im Tagesspiegel sowie von Roger Schawinski („In Deutschland gibt es private und öffentlichrechtliche Sender, beide sollten unterschiedliche Aufgaben und Standards haben. ARD und ZDF schlagen jedoch einen fatalen Weg ein. Sie haben keine Mittel, um Zuschauer unter 50 Jahren anzusprechen, deshalb kopieren sie die Privaten wir RTL oder Sat 1“) in der NZZ liegen kluge Analysen vor.

In unzähligen Kommentaren im Internet stöhnt das Fernsehvolk schallend, allerdings im sicheren Wissen, dass dies von denen da oben ignoriert werden wird. Leute beklagen sich ob der Unmenschlichkeit auf dem Bildschirm. Gottschalk und Co. plaudern weiter von ihrem Erfolg bei Klofrauen und von der Arroganz der Elite. Die Politik, die im Fernsehrat vertreten ist, hat sich mit keinem einzigen Wort in der Öffentlichkeit gezeigt, sie weiß vom Problem womöglich gar nicht. Alles bleibt beim Alten – gute Moderatoren (die sich zu benehmen wissen) verdienen weiter, die bösen (die es wagen, zu kritisieren) werden zur Schnecke gemacht. Ob sie gute oder schlechte Arbeit machen, interessiert nicht, sondern nur, ob sie konform sind.

In diesem Sinne erlaube ich mir eine Schlusspointe: Die aus der Sicht der ZDF-Intendanz „unverhohlen aggressive“ Heidenreich bekam ja auch einen Preis. Der Laudator Heiner Geißler erklärte ihren Erfolg damit, dass sie nie Kritik übe, sondern lobe. Die alten TV-Idole folgten noch dem eigenen guten Geschmack, die jüngeren dienen dem Verkauf, die jüngsten verbreiten allerdings nur Feuchtgebiete, wobei ich schon wieder bei der Häme bin, diesmal meiner eigenen.

5. Oktober 2008

Palästinisierung des Kaukasus

Die Ursprünge des russisch-georgischen Krieges liegen für die meisten Medienrezipienten im Dunkeln. Beobachtungen von wenigen unabhängigen Journalisten und Experten werden kaum zitiert. Nach einer ausgiebigen Recherche bin ich zu der Klarheit gekommen, die einen nicht unbedingt glücklich macht (Jüdische Zeitung, Oktober 2008).

Der Kaukasus liegt im Nahen Osten

Was passierte im Kaukasus – war das ein Krieg? Und was hat das alles mit Israel zu tun, mit jüdischen Belangen?

Alle Welt ist sich einig: Der georgische Präsident Michail Saakaschwili begann den Krieg. Warum erteilte er ausgerechnet am späten 7. August den Befehl, erst 20 Minuten nach der doch bitteschön unglaubwürdigen Nachricht vom Eindringen russischer Panzer? Ist er vielleicht nur ein dummer Krawattenfresser, wie die BBC ihn dargestellt hat? Sein Angriffsbefehl erklang zur denkbar ungünstigsten Zeit, gegen den Rat seiner Generäle, mit katastrophalen Folgen für sein Image und für sein Land.

Die Analyse der Fakten legt andere Schlussfolgerungen nah. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo drohte Russlands politische Führung dem Westen direkt mit einer symmetrischen Antwort. Die heiße Phase der Verhandlungen zwischen Georgien und der NATO über den Beitritt Georgiens war für den Herbst 2008 geplant. Der schon 2001 zum Präsidenten Südossetiens gewählte Eduard Kokoity, vormals bekannt als langjähriger Türsteher in einem Moskauer Casino und Komsomolsekretär in Personalunion, baute bis 2006 ein autoritäres und korruptes Regime mit engsten Beziehungen sowohl zum russischen Geheimdienst als auch zur organisierten Kriminalität auf. Sein Ziel – die Vereinigung mit Nordossetien – hat er schon 2003 formuliert. Über dem georgischen Hoheitsgebiet schoss die russische Luftwaffe am 20. April 2006 eine unbemannte Drohne ab. Vier Vertreter des russischen Armeegeheimdienstes wurden 2006 bei der Vorbereitung terroristischer Aktivitäten gefasst. Ein russischer Bomber verlor beim Überfliegen des georgischen Inlandes 2007 seine tödliche Ladung. 2006 wurde nördlich von Zchinwali bei absoluter Geheimhaltung der massive russische Stützpunkt Dschava gebaut, mit einer Kapazität von bis zu 2500 Soldaten und Panzerversorgung. Im Frühling 2008 legte das russische Militär in Abchasien neue Eisenbahnlinien, die militärischen Anforderungen entsprechen und im Krieg auch eingesetzt wurden. Allerdings errichtete man in Zchinwali und um die Stadt herum keine Verteidigungsbefestigungen. Mehrere Tausende Bewohner Zchinwalis wurden vom 2. August an offiziell zur Evakuierung gebeten, etwa 90% leisteten dem auch Folge. Am nächsten Tag rief Kokoity die Mobilisierung der freiwilligen Kräfte im Nordkaukasus aus, die nach Südossetien kamen und im Laufe des Kriegs georgische Dörfer und Städte marodierten. Der massive Beschuss georgischer Dörfer um Zchinwali begann am 29. Juli. Am 6. August wurde dabei auch die Großkaliberartillerie eingesetzt, was de facto schon den Krieg von ossetischer Seite bedeutete. Alle diese Dörfer wurden im weiteren Verlauf des Krieges durch paramilitärische ossetische Einheiten von der georgischen Bevölkerung komplett gesäubert. Bis zum 6. August stellte sich eine bis zu 25.000 Mann starke russische Armee an den Grenzen Südossetiens (Rokitunnel) in voller Bereitschaft auf. Etliche russische Journalisten kamen am 6. August nach Zchinwali mit einem Flugzeug. Am 7. August zeigten sich die ersten russischen Einheiten am anderen Ende des Rokitunnels, schon auf südossetischem Gebiet und in großer Zahl, was Saakaschwili als eine unmittelbar bevorstehende Invasion eingestuft hat. Als georgische Kräfte Zchinwali erreichten, fanden sie die Stadt fast leer vor, der Kampf wurde zwischen georgischen und russischen Spezialeinheiten geführt. Zerstörungen durch den georgischen Beschuss kommen in der Stadt Zchinwali an die Marke von 5 % heran, in den umliegenden georgischen Dörfern durch den russischen Beschuss 70 %. Die Zahl der Opfer in Zchinwali beträgt nicht 2000 oder 1600, wie die südossetische und russische Regierung am zweiten Tag der Kriegshandlungen übermittelte, sondern 134. Die russische Luftwaffe hat Zchinwali bombardiert, die georgischen Kräfte zogen sich zurück, es folgte die russische Invasion wie aus dem Buche – alle wichtigen militärischen Ziele im georgischen Kernland wurden ausgeschaltet, Knotenpunkte besetzt.

Der Plan lässt sich aufgrund der aufgelisteten Fakten rekonstruieren: Alle Staatschefs sind bei der Olympiade in China, eine Speznastruppe soll Saakaschwili entmachten und eine neue Regierung (wie seinerzeit in Afghanistan) installieren, die Armee besetzt Georgien zur Befriedung. Der Präventivschlag der Georgier hat diesen Plan verhindert: Saakaschwili blieb in Tbilisi, die Speznas wurde in Zchinwali aufgefangen und vernichtet, die russische Armee hat zwei Tage unter Beschuss verloren, sie musste den verwundeten kommandierenden General austauschen und hat ihren Vormarsch nach Tbilisi erst durch die mahnenden Worte der Amerikaner gestoppt.

Die Reste des Sowjetimperiums bluten weiter. Russen und Georgier haben eine gemeinsame grausame Vergangenheit und agieren in ihrem Schatten. Die erste georgische Führung hat im Rausch ihrer gewonnenen Selbständigkeit Abchasen und Osseten so stark vergrellt, dass es für sie keinen Weg zurück mehr geben kann. Nord- und Südossetien sind auf dem besten Wege zusammenzukommen und den nordkaukasischen Kriegsherd zu vervollständigen – für Georgien schmerzlich, aber immer noch besser als kompletter Verlust der Unabhängigkeit.

Die russische Medienkampagne war erfolgreich – die Darstellung des georgischen Präventivschlags als ungezügelte Aggression sitzt fest. Ein Beispiel: Der erst kürzlich ausgetauschte stellvertretende Generalstabschef Nogowizin zeigte auf seiner Pressekonferenz den angeblich in Zchinwali eroberten amerikanischen Pass und führte das als entscheidenden Beweis für die direkte Beteiligung der USA im Konflikt an. Am nächsten Tage hat die amerikanische Presse diese Nachricht als schlecht fabrizierte Ente entlarvt: Dem Passinhaber Michael Lee White kam der Pass 2005 in Moskau abhanden, im August 2008 war er selbst nachweislich in den USA und China. Dagegen weiß kaum einer, dass die über Georgien abgeschossenen russischen Piloten schon drei Tage vor dem Kriegsbeginn in die Region abbestellt wurden, laut den bei ihnen gefundenen Papieren.
Wenn wir noch zahlreiche Artikel einbeziehen würden, die die Rolle Israels bei der Vorbereitung georgischer Streitkräfte betonen, so sollten wir gleich mitberücksichtigen, wer die „Unabhängigkeit“ zweier neuer Staaten zuerst anerkannt hat – das sind die Hamas und die Hisbollah. Erst wenn man das zusammenbringt, begreift man, dass sich die Anwendung terroristischer Methoden, die Ausrichtung auf die Wirtschaft mit dem Tod, Lügen als Medienpolitik hier wie dort aus derselben Quelle speisen, aus der Schule des KGB. Es ist eine schleichende Palästinisierung Ossetiens, wie eine russische Journalistin sich ausgedrückt hat.

Eine neue Nachricht aus Russland komplettiert das Bild – Iran bekommt die modernste Luftverteidigung, die für Israel und die USA die eventuell geplante Bombardierung der iranischen Atomwaffenanlagen verunmöglichen soll. So bekommt der russisch-georgische Krieg eine neue Dimension, über die man lieber nachdenken sollte, bevor man ihn ad acta legt.

4. Oktober 2008

Wie oft darf man über den Antisemitismus streiten?

Nach dem sinnlosen Rechtsstreit über antisemitische Äußerungen haben mehrere Zeitungen versucht, einen nicht weniger sinnlosen Streit zu installieren, wer darüber entscheiden darf, was antisemitisch und was nicht antisemitisch ist. Dabei stellte sich heraus, dass es nicht so schlimm ist, ein Antisemit zu sein. Viel schlimmer ist es, einen Antisemiten als solchen zu bezeichnen.

Der folgende Text versucht, etwas tiefer hinter die Kulissen des Spektakels zu schauen (Jüdische Zeitung, Oktober 2008).

Im Elfenbeinturm der Israelkritik

Den Staat Israel zu kritisieren ist verboten und ein Tabu. Nur die mutigsten Menschen wagen das – in ständiger Angst, mundtot oder gar tot gemacht zu werden. Warum? Ganz einfach: „Vor allem in Deutschland kann der Antisemitismus-Vorwurf tödlich sein, und so hüten sich viele Juden wie Nichtjuden davor, den Mund aufzumachen.“ So Michal Bodemann in der TAZ.

Die Realität sieht anders aus – man liest ununterbrochen die so genannte Israelkritik, sie gehört zum Mainstream der deutschen Medien und zur vox populi als deren Lackmus- oder Feigenblatt. Die Angst vor angeblicher Bedrohung durch Israel ist in den Meinungsumfragen stets hoch und negativ gefärbte Meldungen über Israel erreichen uns alltäglich.

Im Spannungsfeld zwischen Arroganz und schlechtem Gewissen gedeiht die Israelkritik, sie ist sehr empfindlich gegenüber der Entblößung und nimmt jede Entgegnung äußerst persönlich. Eiertanz-Spezialisten sind bereit, sich antizionistisch zu bekennen, und erlauben den anderen, sich in ihrer Anwesenheit antisemitisch zu äußern. Vor allem schreiben sie gerne Leserbriefe, die sich zur Fortsetzung der Debatte eignen, wenn ein Medienprofi sich verstecken will. Auf bestimmte Weise chiffrierte Botschaften rufen eine bestimmte Klientel hervor, die sich zu Wort meldet. Wenn nach der fortdauernden Überflutung durch die dpa- und afp-Israelschelte ein Jude als Kronzeuge aussagt, die Israelkritik sei in Deutschland verboten, kann er eines Interviews sicher sein (genauso wie Finkelstein einer Einladung zu Christiansen!). Daraufhin erklingen Stimmen, die sich über diesen Quatsch empören, dies sei weit von ernstzunehmender Kritik an den Verfehlungen israelischer Politik entfernt und nicht gerade von Weitblick auf das Weltgeschehen geprägt. Dann schlägt die Stunde der Leserbriefe – die unschuldige Redaktion überlässt ihnen das Wort, und dann kommt es: quod eram demonstrandum, warum darf man denn Israel nicht kritisieren etc.

Andererseits können angestellte Journalisten sich auch nicht immer zurückhalten. Sie glauben innig, im Rechte zu sein – sowohl beim Bestimmen, wie Israelpolitik auszusehen hat, als auch in dem Bekenntnis zur Grenzenlosigkeit der Israelkritik. Beides kann man nicht immer den Leserbriefen überlassen. Eine ausgeglichene Darstellung der Tatsachen und Meinungen besteht für die meisten Redaktionen im unermüdlichen Israelbashing, zu dem die Enttäuschung über die Rede der Kanzlerin vor der Knesset kommt sowie keine Richtigstellung, wenn eine zu schnell übernommene Fälschung desavouiert wurde. Dazu „kein Jahr ohne Antisemitismusstreit“, sagen sich Qualitätsjournalisten, die sich plötzlich einig sind, wo sie sonst so gerne miteinander streiten.

In dem aktuellen Broder-Fall wollen Feuilletonchefs von FAZ und SZ noch einmal klarstellen, wer die Hoheit über die Meinungsbildung im Lande hat. Eine notorische Leserbriefschreiberin wird zur Publizistin und Tabubrecherin auserkoren. Sie kämpft gegen die allmächtige jüdische Lobby. Irgendwann wird sie vom Fachmann auf dem Gebiet der Antisemitismusforschung als noch ein Beispiel für die beschriebene Medienstrategie bemerkt und als das, was sie ist, entlarvt. Patrick Bahners und Thomas Steinfeld warten nur darauf und erwidern im Ton eines Moralpredigers, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr, Israelkritik werde mundtot gemacht, der Stil verkommt, o tempora, o mores!

Clemens Wergin in der „Weltdebatte“ sowie Silke Tempel in der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“ antworten darauf mit der Spiegelung der Invektive. Doch überflüssig ist es, auf eine Reaktion von Bahners und Steinfeld zu warten. Sie kommt nie – und der Grund dafür ist weder Angst vor Argumenten noch Scham, sondern die unerschütterliche geistige Überlegenheit.

In der Tat wird nicht die Israelkritik in Frage gestellt, sondern genau andersherum: Es findet ein weiterer Missbrauch vorhandener Ressentiments statt. Die meisten Zeitungen pflegen eine einseitige Schilderung der Ereignisse in und um Israel und nutzen dabei und dafür auch Leserbriefschreiber aus, anstatt sich von diesen zu distanzieren. Sie betrachten die Kritik an solchen Autoren als Kritik an sich und sehen darin den Angriff auf ihr natürliches Monopol, das sie mit Meinungsfreiheit verwechseln. Ein Tadel, der unterstellt, dass sie ihre Rolle möglicherweise missbrauchen, kann sie nicht erreichen: Das käme einer Majestätsbeleidigung gleich.

8. September 2008

Eine klitzekleine Verwechslung

Am 31. August 2008 hat der "Weser Kurier" die Welt belehrt, wie man mit dem Kaukasus-Konflikt umgeht. Allerdings mit groben Fehlern. Ich habe per mail dagegen protestiert. Offensichtlich war es der Redaktion zu peinlich, eine Richtigstellung zu drucken. So wurde mein Leserbrief erst am 8. September in einer verkürzten und entschärften Form publiziert. Auch wenn die Kürzung einer Zensur verdammt ähnlich ist, wollen wir die Publikation für sich loben - es wäre doch auch möglich, sie ganz zu unterschlagen.

Darunter bringe ich den Snapschuss des Artikels von Hans-Günther Thiele, damit ein interessierter Leser den Zusammenhang verstehen kann. Der Leserbrief bekam einen irreführenden Titel: Namen verwechselt. Nach der bekannten Methode mache ich mit dem Kursiv deutlich, welche Teile meines Textes die Zeitung beschnitten hat:

Mit der Leichtigkeit eines allwissenden Weltmanns kommentiert Hans-Günther Thiele die schrecklichen Ereignisse des russisch-georgischen Krieges. Der eigentliche Skandal - die deutsche Duldung imperialer Politik Russlands - wird "unter uns Pastorentöchtern" mit keinem Wort erwähnt. Mehr noch: Bei der oberlehrerhaften Verteilung der Moralinsäure wird ein historischer Greuelsatz des ersten georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia (Die Osseten seien Unrat) fälschlicherweise dem neokantianischen Philosophen Merab Mamardaschwili zugeschrieben. Aus der Wortwahl kann man leicht zurückverfolgen, wie das zustande gekommen ist. Drei Tage zuvor hat "Die Zeit" den brutalen Spruch Gamsachurdias in der Form zitiert und dabei auch den "entschiedenen Protest" Mamardaschwilis dagegen benannt. Thiele verwechselt beide und macht aus dem unbequemen Freigeist einen Faschisten und aus einem früheren Helsinki-Dissidenten und späteren Nationalisten einen geschichtlichen Blindfleck. Ein trauriges aber auch typisches Beispiel. Jeden Tag lesen wir weiter von 2000 Toten auf der russischen Seite und von der georgischen Schuld des ersten Angriffs. Beides ist seit Wochen als Lügen entlarvt und wird trotzdem wiederholt, was kostet da schon ein beschmutzter Name eines Philosophen!

2. August 2008

Eine Geschichte der Juden?

Seit Monaten plagt mich die Frage, ob von mir nicht zu viel Kritik, zu viel Negatives geschrieben wird. So habe ich extra ein Buch genommen, welches ich loben und empfehlen wollte. Und siehe, schon wieder ist daraus etwas Kritisches geworden (in der "Jüdischen Zeitung", September 2008):

Jüdische Geschichte oder Narrativ?
Die Textsammlung „Jüdische Geschichte lesen“, 2003 von Michael Brenner, Anthony Kauders, Gideon Reuveni und Nils Römer herausgegeben, wurde in einigen wenigen Zeitungen von Zunftkollegen begrüßt und einstimmig positiv rezensiert. 45 Aufsätze von 37 Autoren aus den Jahren 1818 bis 1998 – ein breites Spektrum, thematisch wie chronologisch. Im Grunde genommen geht es um Methodologie, grob gesagt um Ansätze, wie man mit der Geschichte der Juden umgeht. Brenner schrieb drei Jahre später eine Monographie zum selben Thema, in welcher er die Geschichte der jüdischen Geschichte darlegte, mit zum Teil identischen Namen und Akzenten, eine Art Selbstreferenz – hier ein Lesebuch, dort eine Deutung. Das sei trockene Wissenschaft, dachten aber jüdische Leser selbst und blieben eher zurückhaltend: Keine Diskussion, keine wahrnehmbare Rezeption. Warum nur?

Zuerst fällt die Geographie der Texte auf – das meiste stammt aus der Feder von deutsch-jüdischen Autoren, etwas weniger kommt aus den USA und Israel, je eins aus England, Frankreich, Russland. Würde der Proporz genauso aussehen, wären die Herausgeber selbst in Israel oder Russland angesiedelt?

Man merkt deutlich auch die säkulare Tendenz: Rabbinische Texte sind in der Minderheit. Drittens stechen die Pluralität der präsentierten Positionen und der neutrale Ton der Einführung geradezu ins Auge. Das alles hat Vor- und Nachteile.

Einerseits stellt das Buch einen Fundus grundlegender Texte vor, handlich im Gebrauch, gut für den Lehrbetrieb. Sechs thematisch gegliederte Blöcke, in denen die einzelnen Aufsätze zeitlich eingeordnet sind, – das Material ist gut strukturiert, wieder ein Plus für die Verwendung im Studium. Eine deutschsprachige Ausgabe bevorzugt nun mal deutschsprachige Texte und orientiert sich an Lesern in Deutschland. Andererseits wäre durchaus zu fragen, ob einige der Texte ihren Weg nicht eher aus Gründen der political correctness ins Buch fanden. So erzählt ein Artikel von Paula Hyman über die Rolle der Frauen in der Weitergabe der jüdischen Tradition. Ist denn diese Beobachtung so neu – ist das etwa eine methodologische Revolution? Die Artikel von Laurence J. Silberstein und Susanne Heschel übertragen die ehrwürdigen feministischen Kampfgedanken und nicht weniger angesagten „orientalistischen“ Kampfslogans Edward Saids auf die Erforschung des zionistischen und postzionistischen Diskurses. Sie überzeugen weder im Hinblick auf Logik noch auf ihre Aussagekraft, insofern bleibt unklar, warum sie in dem Kontext des Bandes gelesen werden müssen. Es ist schon klar, dass heutzutage die eine oder andere antizionistische Stimme laut ist. Sie kann in solch einem Band auch vorgestellt werden, warum dann aber nicht aus erster Hand, sondern unterschwellig und so wenig fassbar?

Genauso befremdlich erscheinen noch drei Texte – von Arnold J. Toynbee, Jean-Paul Sartre, Hannah Arendt. Toynbee ist selbstreflexiv genug, um zu seinen ziemlich antisemitischen Passagen zu vermerken, „wie schwer es für jeden ist, der mit einem christlichen Hintergrund aufgewachsen ist, die jüdische Geschichte objektiv zu betrachten“. Sartre erlaubt sich ruhigen Gewissens solche haarsträubenden Sprüche wie – „der Antisemit hat den Juden zum Gegenstand seines Hasses erwählt wegen des religiösen Abscheus, den dieser immer erregte.“ Arendt ist von der „wechselseitigen Feindschaft“ zwischen Christen und Juden völlig überzeugt. Warum ausgerechnet diese Texte zum Thema Antisemitismus? Warum nicht andere? Ist zum Beispiel „Der ewige Antisemit“ von Henryk Broder nicht akzeptabel, nur weil ihm der Doktortitel fehlt? Auch beim Thema Zionismus hätte ich lieber eine direkte Auseinandersetzung mit Benny Morris und Tom Segev als den Pionieren israelischer Selbstzerfleischung auf historischem Gebiet sowie die Richtigstellung, die Ephraim Karsh inzwischen geliefert hat (ich weiß, diese Texte sind meist später erschienen als das Buch, ich bringe dies als Beispiel).

An dieser Stelle noch einige Worte zu der Ausgabe selbst. Es gibt nur wenige Kritikpunkte: Einer der Autoren – Immanuel Wolf – wurde bei der Zusammenstellung der Autorenliste vergessen. Einige chronologische Zuordnungen, zum Beispiel bei Zitaten im Artikel von Hannah Arendt, stimmen nicht überein (sie bezieht sich im Jahre 1951 auf Bücher, welche erst 1961 und 1962 erschienen sind). Bei der Wiedergabe einiger Texte wurden Fehler beim Abtippen nicht nachgebessert, in einigen Übersetzungen hat das Auge des Redakteurs zu wenig aufgepasst. Ansonsten eine hervorragende, in dieser Form einmalige Leistung, die viel zum Nachdenken anregt.

ASSIMILIERUNG
Mehrere Texte im Band streiten miteinander über die Assimilierung, deren Gründe, Entstehung, Verläufe, Folgen etc. Deren Aneinanderreihung erwirkt aber auch einen Nebeneffekt. Erst durch die Lektüre fällt auf, wie zeitgebunden all diese Texte sind. Wie die Zeitgenossen Hegels mit Müh und Not versuchen, dialektisch zu formulieren, wie die Generation von Burckhardt und Ranke zu großen mehrbändigen Erzählungen neigt, wie Simon Dubnow im Zuge der heranwachsenden soziologischen Tendenz von H. Taine bis M. Weber die jüdische Geschichte auf ihre Füße stellt. Wie kurz darauf die Wendung zur Geistesgeschichte ihre Auswirkung zeigt, unter anderem in der wirren philosophischen Poesie (Franz Rosenzweig: „das Volk ist Volk nur durch das Volk“). Der vulgäre Marxismus (Raphael Mahler: Mit der sozialistischen Revolution in Russland „brach eine neue Ära in der Weltgeschichte an. Mit dieser neuen Phase im Kampf der Völker um ihre Freiheit setzte zugleich eine neue Epoche in der nationalen Befreiungsgeschichte des Volkes Israel ein.“) und weitere Ismen hinterlassen ihre Spuren, bis hin zu Feminismus und Dekonstruktivismus, mit ihren jeweils neuen Sprachstrukturen und ihrem eigenen Zitatenrepertoire. Sie alle stehen mehr im Geiste der eigenen Zeit als im Dialog mit der eigenen Tradition. Das Buch zeigt, dass die nationalen Unterschiede zwischen Juden der Diaspora zunehmend größer werden – positivistisch ausgerichtete englische und amerikanische Autoren verschmähen den Pathos der deutschen Kollegen und die Sachlichkeit Dubnows. Ein Dialog findet fast ausschließlich nur innerhalb der folgenden Generationen einer gemeinsamen Sprachkultur statt. Die Juden trennen sich und wissen weniger voneinander, haben weniger Verständnis füreinander.

So will der Brite Cecil Roth auf der Schwelle der Shoa nur bedingt vom Leiden der Juden in der Geschichte sprechen. Sein Text ist 1932 geschrieben und beinhaltet auf zehn Seiten mindestens 19 Sätze, die das Ausmaß des Leides in der jüdischen Geschichte relativieren, wie zum Beispiel seine Frage über die typischen Pogrome während der Osterwoche im Mittelalter offenbart, ob diese „nicht stärker auf eine Art ‚jahreszeitliche’ Psychologie zurückzuführen sind“. Ist das noch ein jüdischer Blick oder schon ein nichtjüdischer? Übernimmt er hier die Sicht der Mehrheitsgesellschaft auf Juden? Das Buch legt auch diese Art der Assimilierung bloß, öffnet die Augen dafür. (Übrigens besonders empfehlenswert ist im selben Sinne der Aufsatz von Sander L. Gilman zum Thema „Jüdischer Selbsthass“, 1986.)

PLURALISMUS
Die Spezialisierung schlägt zu – sowohl auf dem methodologischen Feld der Geschichtsschreibung als auch in der Eigenart des nationalen Blicks. Ich wage zu sagen, dass ein deutscher Jude aus der historischen Schule des 19. Jahrhunderts die Geschichte seines Volkes in der Tat anders sieht als sein Kollege in den USA des 20. Jahrhunderts und noch ganz anders als der Nachfolger im heutigen Israel. Positiv gesehen ein Pluralismus. Auf der anderen Seite jedoch auch eine Zerspaltung, eine Diaspora des Geistes.

Die beschriebene Splitterung hat mehrere Dimensionen. Dazu gehört auch, dass Historiker heute keine großen Projekte mehr wagen, es gibt kaum einen Entfaltungsraum für eine bedeutende Persönlichkeit, die eine solche Aufgabe auf sich nehmen würde. Ein Kollektivwerk ist naturgemäß weniger persönlich gefärbt.

Eigenes trägt dazu auch die chronologische Folge der Publikationen bei. Die Logik des Fortschritts kann dazu verführen, in einem späteren Text nicht nur einen Kommentar zu einem früheren zu sehen, sondern von ihm eine modernere, soll heißen, wahrere, bessere, aktuellere Position zu erwarten. Muss vom Späteren das Frühere immer aufgehoben werden? Das führt mich zur Annahme, dass es vielleicht besser wäre, die Lektüre im Buch mehr thematisch zu organisieren – im Wissen, dass es mit der Geschichtswissenschaft heute genauso wie mit den meisten humanitären Wissenschaften und Kulturwerten geht. Die Zeit der Titanen des Geistes ist vorbei, und ob sie wieder kommt, wissen wir nicht. Die bloße Folge der Zeiten weist also noch keine Logik auf – das mag hegelianisch klingen und abstrakt und nach ordnenden Ideen rufen, die ich gar nicht liefern kann. Ich kann sie hier nur vermissen und das als Fakt beim Namen nennen. Summa summarum, bedeutet das den Zustand einer Posthistoire. Im gewissen Sinne aber auch ein Neuanfang. Je nachdem, was die nächsten Generationen daraus machen.

NARRATIV
Noch aktueller ist die Frage nach der tieferen und eigentlich höchstaktuellen Bedeutung von diesem Pluralismus. Diese Frage müsste man gleich im Plural umformulieren – Geschichte oder Narrative? Und zwar: Gibt es eine einzige, für alle Epochen gültige Vergangenheit, die durch die Geschichtswissenschaft festgelegt wird? Versorgt uns ein Historiker mit Fakten und gleich einer Deutung dazu? Oder sind es mehrere? Für jede Epoche ihre eigene, für eine jede Kultur, Nation? Kann die Sicht eines Autors die objektive Wahrheit überhaupt wiedergeben – sind es nicht eher unterschiedliche Erzählungen, gemäß einer herbeizurufenden Umwandlung eigener Erinnerungen bei der Traumatherapie?

Angesichts der Postmoderne, der Dekonstruktion und übrigen Versuchen, die Aufklärung zu delegitimieren, muss als Erstes geprüft werden, ob das Wissen über die Vergangenheit konstant, flexibel oder gar beliebig ist und – als Zweites – ob das ein objektives Faktum oder eine subjektive Sichtweise ist. Davon abhängig wäre das Resultat einzustufen, ob es gut, schlecht oder wertneutral ist. Dafür gibt es die Philosophie der Geschichte, die bei aller augenscheinlichen Vernünftigkeit erst dann entstehen konnte, als die Aufklärung die deutsche Philosophie erreicht hatte. Daraufhin erst konnte dann auch eine „Geschichte der Juden“ von Heinrich Graetz konzipiert werden. Ihr folgten weitere mehrbändige Projekte, die an der Schwelle zur Shoa ihren Höhenpunkt fanden und infolge der Shoa abrupt zurückgingen. Etwa 150 Jahre lebt und blüht die jüdische Geschichtsschreibung, bis sie bereit ist, sich im Spiegel anzuschauen und zu hinterfragen, ob sie am Ende ist und ob sie eine Methode hat. Gerade das tut dieses Buch, zumindest bietet es die Erkenntnisvorlage an. Wie wäre es, die jüdischen Enzyklopädien aus England (1901), Russland (1908), Deutschland (1928), Israel (1971) in der weiteren Folge miteinander zu vergleichen? Ist also die gesuchte Methode der Pluralismus? Wo liegt seine Grenze zur Beliebigkeit eines Narrativs?

REZEPTION
Wie bekannt, erreichte Emil Fackenheim die israelische Leserschaft kaum, seine Texte wurden nicht in Hebräisch geschrieben, weder übersetzt noch rezipiert. Ist er damit kein israelischer Denker? Und wenn er erst Jahrzehnte später ankommen und dann vielleicht noch wirken wird, ist er dann ein Teil der israelischen Gedankenwelt oder auch dann noch nicht? Dubnow wurde im russischen und deutschen Kulturkreis kaum gelesen, seine Leserschaft verschwand generationenweise, auch seine Ausgaben gingen verschollen. Ist er aber jetzt, nach den neuangelegten Ausgaben beim Leser angekommen? Mir persönlich sagt die Auslegung Dubnows immer noch zu, ich betrachte sie als unangefochten. Wenn ich ihn hier allerdings immer mal wieder lobpreise und das von einem Dutzend gelesen wird, erhebt ihn das automatisch zur Autorität ersten Ranges? Mit anderen weniger ironischen Worten: Beliebtheit, Zitierbarkeit, Bedeutung und Auswirkung eines Autors können stark divergieren. Das ist auch eine Lehre aus diesem Buch: Die hochgepriesene Arendt verliert viel an ihrem Renommee durch den zweifelhaften Text in diesem Band im Vergleich zu weniger „hochkarätigen“ Autoren, ohne jegliche Chance, sich auf dem Gebiet wieder zu behaupten. (Sie lässt sich zum Beispiel über „die selbstbetrügerische Theorie“ aus, nach welcher das Judentum „für Toleranz und die Gleichheit aller Menschen eintrat“, oder über die „Existenzbedingungen im Mittelalter, als den Juden auch dann, wenn die Gewalttätigkeiten nicht religiös, sondern politisch oder wirtschaftlich begründet waren, immer noch die Alternative offenstand, sich taufen zu lassen und damit den Verfolgungen zu entgehen“.) Die Logik der Aussage, die Korrektheit der Faktenwiedergabe, die Beweisführung, die Stärke sprachlicher Präsenz und manch anderes kann man besser vergleichen, wenn Texte nebeneinander stehen und im Zusammenhang der Themen gelesen werden.

Sind das unterschiedliche Zeiten mit ihrer jeweiligen Geschichtsschreibung, Philosophie, Weltanschauung? Oder nur Narrative? Kann man so unterschiedliche Positionen beliebig gegeneinander austauschen und je nach eigenem Geschmack aussuchen? Kann es mehr und weniger Wahrheit geben? Cecil Roth (weniger Leid) gegen Graetz (viel Leid) – wer setzt sich im Gedächtnis der Kultur durch? Kann man hier eine Einsicht erwarten, so wie Benny Morris seine Niederlage gegen Ephraim Karsh im Bezug auf die Gründungsgeschichte Israels zugegeben hat? In unserem Bewusstsein vielleicht. Jüdische Geschichte lesen bedeutet mitzudenken und eine Position zu beziehen. Auch dieses Buch verlangt einen wissenden, denkenden Leser, und in diesem Sinne – am Rande gesagt – vielleicht mehr Kommentare und weniger Neutralität, auch wenn der eine Journalist dann eine Tendenz und der andere Wissenschaftler eine Subjektivität anprangern würde. Bloß nicht anämisch und klein werden, das lesende Publikum wäre dafür dankbar. Umsomehr, dass die Herausgeber im Vorwort darauf hinweisen, dass die deutsche Historikerzunft auch heute noch „keinen einzigen der großen Historiker der jüdischen Geschichte“ für erwähnenswert hält.

DENKWEISE
Bei der Darstellung der jüdischen Sicht auf die Geschichte vermisse ich im Buch ein gesondertes Kapitel über die spezifisch rabbinische Vorgehensweise, auch wenn das mit je einem Text von Abraham Geiger und Emil Fackenheim angedeutet wird. Leo Baeck und Mordechai Kaplan wären hier eine weitere Bereicherung und Zeichensetzung. Die talmudische Kunst der Auslegung, der Fragestellung und Durchleuchtung lebt, sie wird von der Bibel- und Talmudforschung nicht usurpiert – in dem Buch ist davon wenig zu spüren. Die Ausrichtung auf den Unibetrieb, auf die formalisierbare, verifizierbare, prüfbare Wissensvermittlung bringt die Gefahr mit sich, diese synkretische Art jüdischer Denkweise auszuhöhlen. Unter dem Einfluss eines Michel Foucault kann man auch zu einer neuen Synthese zwischen Talmudistik und Kulturkritik gelangen, wie es zum Beispiel zwei brillante Texte Amos Funkensteins anbieten, trotzdem ist das schon wieder eine Aneignung, es schmeckt ganz anders. Der einsame Aufsatz von Fackenheim, dem bekanntlich letzten Schüler Baecks, verliert sich im Band und bleibt eine Ausnahme.

Trotz dieser Einwände muss man die Grundidee des Bandes unterstützen und ganz tüchtig loben: Sie entspricht genau der jüdischen Denktradition. Texte verschiedener Autoren aus verschiedenen Zeiten treten in den Dialog miteinander ein und erklären dasselbe anders, kommentieren einander, widerlegen, ergänzen, werfen einen neuen Blick auf dieselbe Vergangenheit, zwingen regelrecht zur Diskussion und Erarbeitung seiner eigenen Position.

LESERSCHAFT
Es gab Zeiten, in denen jede jüdische Familie ein Exemplar der Graetzschen Geschichte besaß (mein ältester Onkel hat mir zwei zerstreute alte Bände vererbt, die die in der Vergangenheit noch zahlreiche Verwandtschaft als Kostbarkeit behielt, durch alle Pogrome und Fluchten des Jahrhunderts). Wie ist es heute? Den neu bekehrten russischen Juden werden populäre Broschüren zum Judentum und zur Jüdischkeit in die Hände gedrückt, um sie nicht zu überfordern. Das gesammelte Wissen der Historiker wird – wie in dem vorliegenden Buch – offensichtlich für die Studierenden aufbewahrt: So entstehen Barrieren zwischen Wissenden und Unwissenden, zwischen den Orthodoxen und Abtrünnigen. Sind die gedachten Leser einer Geschichte der Juden, einer jüdischen Zeitung eher jüdisch oder nicht-jüdisch? Standen Herausgeber einer Encyclopaedia Judaica je vor einer solchen Frage? Welches Lesebuch kann das auffangen? Wie wäre es, wenn anstatt von millionenschweren Burgen und Palästen, die für Synagogen ausgegeben werden, einem jeden eingebürgerten Kontingentflüchtling eine Tora-Ausgabe, dazu der Talmud, dazu Dubnow verfügbar gemacht worden wären? Eine jedem zugängliche Bibliothek für dieselben Investitionen? Damit das Volk des Buches liest und zu sich, zu seiner Geschichte findet?

4. Juli 2008

Eine Antisemitismus-Anhörung

Am 16.6.2008 fand die Anhörung im Innenausschuss des Bundestages statt, die sich dem Thema Antisemitismus widmete. Nette Mitarbeiter des Bundestages waren bereit, die Videoaufnahme des Sitzung sofort online zu stellen. Vier Stunden später war es soweit. Der Text über die spannende Show erschien in der Jüdischen Zeitung (Juli-Ausgabe), leider etwas abgemildert. Hier folgt die Originalfassung:

Wenn ich das Wort Antisemitismus höre…

Jede Politikergeneration braucht ihre Anhörung zur Bekämpfung des Antisemitismus, so haben sich auch Fachleute und Mitglieder des Innenausschusses im Bundestag am 16. Juni mit dem Thema befasst. Unterm Strich bleibt das beruhigende Gefühl - gut, darüber gesprochen zu haben. Erfahrenere Abgeordnete erinnern sich, schon einmal dieses Gefühl gehabt zu haben. Sie hätten diesmal gerne etwas mehr davon, wissen aber nicht, was man mehr tun kann als man sowieso schon immer getan hat.

Sie laden Experten dazu ein (am besten Juden selbst) und lassen sie miteinander streiten. Fazit: Erstens gibt es keine Einigung über die Definition. Die Regierung weiß alles besser und will nicht darin belehrt werden, Gerichte ebenso wenig. Infolgedessen sind Statistik und Gerichtsbarkeit im Dissens mit der Meinung der Sachverständigen. Im Klartext: Nicht alle antisemitischen Straftaten werden als solche behandelt.

Zweitens sind die Ausrichtung und Methoden des „Kampfes“ unklar. Soll man den brutalen rechtsextremen Schläger aufklären? Nein, den übergibt man der Polizei und der sekundären Prävention im Knast. (An dieser Stelle sind andere Statistiken hilfreich, die bei der Anhörung unerwähnt geblieben sind, – es gibt nämlich kaum Verhaftungen/Verurteilungen von Tätern mit antisemitischer Motivation.) Man spricht weiterhin von „moslemischen Jugendlichen“. Einige versuchen zwischen solchen aus türkischen, libanesischen und palästinensischen Einwandererkreisen zu differenzieren, das ist aber für die meisten immer noch zu kompliziert, bitte zuerst erforschen. Der Antizionismus der linken Szene, der sich zunehmend mehr Platz in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft verschafft hat, ist für die meisten ein Novum, denn Heitmeyer habe das noch nicht evaluiert. Mit anderen Worten, was nicht erforscht wurde, existiert nicht.

Drittens, die Verbreitung antisemitischer Inhalte via Internet lässt sich nicht eindämmen. Man sollte also eher am Konsumenten als am Produzenten ansetzen. Muss man das aber überhaupt tun, wenn das Phänomen ein perpetuum mobile und die Entwicklung der judophoben Einstellungen wellenförmig ist?

Viertens: Ist es überhaupt möglich, die Judenfeindschaft zu bekämpfen? 15 bis 20 % der Bevölkerung überall in Europa sind latent bis manifest antisemitisch, konstant durch alle Forschungsjahre, mit kleinen politisch- und skandalbedingten Abweichungen. Kann es eine „radikale Aufklärung“ geben?

Die Abgeordneten versuchen die Entscheidung auf andere Schultern zu übertragen. Ernstlich fragen sie die Regierung: Was braucht diese, um den Antisemitismus zu bekämpfen? Diese antwortet ganz brav: Wir brauchen nichts, es geht uns gut. Fünf antisemitisch motivierte Gewalttaten pro Monat im Durchschnitt, international gelobt, besser als die anderen. Und was wünschen sich die Sachverständigen? Wissenschaftler wollen mehr Geld, Aufklärer – mehr Finanzierung, jüdische Organisationen – einen Bundesbeauftragten der Regierung als Ansprechpartner. Im Raum steht also der Wunsch nach einem unabhängigen Expertengremium unter Leitung eines Beauftragten, welches jährlich einen Bericht erstellt, am besten nicht nur über den Stand des Antisemitismus, sondern über alle Formen der Diskriminierung. Noch schöner wäre es, diesen Beauftragten mit den Befugnissen auszustatten, für Toleranz und Demokratie aufzutreten.
Ich stelle mir das bildhaft vor: Der Beauftragte kommt, der Antisemitismus geht. Wir werden uns wundern, was ein Mensch so alles erreichen kann! Wie viele werden aufatmen und sagen: Dafür bin ich nicht zuständig, weder mein Ressort noch mein Budget, damit gehen Sie zum Bundesbeauftragten!

Kein Einziger ist dagegen, gute Sache! Leider gab es nicht genug Zeit, um diese Idee sofort zu beschließen oder gar auf der Stelle zu verwirklichen: Einige mussten abreisen. Frei nach Tucholsky – wegen der frühen Abreise wurde die Bekämpfung des Antisemitismus bis zum Ende des Jahres vertagt. Immerhin fast vier Stunden dauerte es. Genießen Sie die Videoaufnahme online!

Mühsam sind die Wege der Demokratie. Wann wird wohl die zivile Gesellschaft ihre Grenzen und Schattenseiten kennen lernen? Lernen, den Prozentsatz der Antisemiten hinzunehmen und selbst couragiert aufzutreten, ohne es dem Parlament allein zu überlassen? Wird es dazu kommen?

19. Juni 2008

Getarnt als Leserbrief

Wie soll die Kritik aussehen, wenn die Zeitung, für welche einer schreibt, von den "israelkritischen" Texten plötzlich überfüllt wird? Sollte man ruhig bleiben und weiter über die eigenen Themen nachdenklich philosophieren? Oder die Zusammenarbeit mit der Redaktion beenden?

Die Vernunft hat doch Überhand gewonnen: Ein offene und ehrliche Kritik wird vielleicht etwas bringen. Aus dieser Überlegung ist der folgende Text entstanden. Bringt der was?..

Zum Jubiläum nur das Gute, sagt der Eine und wünscht Israel gar das Beste. Nein, gerade das Jubiläum ist der beste Anlass, Kritik zu üben, meint der Andere und fragt nach dem Dialog mit der Hamas. Ach was - Kritik? - sagt der Dritte, er sehe überhaupt keinen Grund, bei diesen politischen Propagandaspielchen mitzumachen und bleibt bei seinem „Kein Kommentar“.

Solch ein breites Meinungsspektrum wollte augenscheinlich auch die „Jüdische Zeitung“ im Monat Mai präsentieren, nach dem Motto: Wir wollen die Realität der unterschiedlichen Sichtweisen abbilden.
Wie sieht das Resultat aus? Auf der zweiten Seite sind zwölf „Gratulationen, Gedanken und Emotionen“ platziert. Darunter die gesamte Palette – von Emotionen über „eine traurige Bilanz“ (Katzenstein-Leiterer) bis zum Eingeständnis „unserer historischen Schuld an der Vertreibung der Araber“ (Verleger). Auch finden sich solche Stimmen, die nicht zuerst an die Nakba denken, - vielleicht am treffendsten von Maya Zehden formuliert, die Israel „starke Partner unter den arabischen Nachbarn“ wünscht, „mit denen ein echter Frieden möglich ist“. Es bleibt trotzdem eine sichtbare Verschiebung des eigentlich zu erwartenden Jubiläumsproporz’ – fünf „kritische“ Stimmen gegen sieben solidarische. Spiegelt dies Verhältnis die Realität wider? Und schließlich: Wessen Realität, die jüdische oder die nichtjüdische? Passt das zur Jubiläumsausgabe?

Als Gegengewicht zueinander sind zwei große Texte auf den Seiten 8 und 9 gedacht, einerseits ein übersetzter Artikel von Gadi Taub, ein ernstzunehmender Beitrag zum Thema „Nationalstaat heute und Israel“, der von der Redaktion als eine weitere Stimme zur Jubiläumsdebatte eingesetzt wird, gegen Anti- und Postzionisten aller Couleur. Andererseits ein kampflustiges Interview, das Eik Dödtmann mit Efi Stenzler, dem Weltpräsidenten des Jüdischen Nationalfonds, geführt hat. Nicht so sehr stören die nicht untermauerten Vorwürfe, die der erfahrene Politiker mit Ruhe und Leichtigkeit abwehrt. Der Ton macht auch hier die Musik: Zum Jubiläum mal den kritischen Stil von der „Haaretz“ schnell nachmachen. In Israel ist die „Haaretz“ eine von vielen Zeitungen, wo sind hier aber die anderen israelischen Stimmen?

Die Krönung der publizistischen Strategie ist allerdings die Publikation auf der Meinungsseite eines lobenden Textes des im deutschen Internet bekannten Antizionisten Anis. Er bescheinigt der Zeitung, „kein zionistisches Hetzblatt“ zu sein, und Israel - „eine klassische Segregation“. Die OSZE-Antisemitismuskonferenz bezeichnet er als „unsäglich“. Das Existenzrecht Israels ist für ihn „ein philosemitisches Signalwort“.

Ich meinerseits bin dafür, dass all diese Stimmen publik werden, dass Martin Walser seine „Auschwitzkeule“ ausspricht, Möllemann seinen „Daswirdmanwohlsagendürfen“-Satz usw. Schließlich kann man darauf erst dann reagieren, wenn die Worte da sind. Man kann dann auch sehen, wer und ob überhaupt darauf reagiert. Was ich dabei erwarte? Dass all dies Zeug nicht primär eine explizit jüdische Presse zumüllt. Es gibt dafür genug andere Organe und Röhren.

Ich bestätige der Zeitung, dass sie die Realität spiegelt. Mit einer kleinen Einschränkung: Das ist die aktuelle deutsche nichtjüdische Medienrealität. Darin liegen die Stimmen pro und contra Israel in der hier gezeichneten Balance, darin wird zwischen Antizionismus und Antisemitismus mit allergrößter Sorgfalt unterschieden anstatt sich im Spiegel der Contentanalyse anzuschauen, darin werden die realen Probleme der israelischen Gesellschaft und Politik als das wichtigste Thema der Medien in Deutschland aufgestellt ohne dass man sich hinterfragt, ob das angemessen ist. Muss in diesen „Israelkritik üben“-Chor eine der wenigen „unabhängigen“ jüdischen Zeitungen mit einstimmen? Hat sie mit ihrer hochgeschätzten Redaktion und ihrem würdevollen Kuratorium keine andere Vorstellung von Ausgeglichenheit? Ist die Unabhängigkeit unbedingt noch eine zusätzliche Stimme „dagegen“?
Ich würde vorschlagen, dass wir, das heißt Autoren der „Jüdischen Zeitung“, nicht miteinander kämpfen, wer von uns den Zionismus besser verstanden und wer sich eher verbrumlikt hat, wer die Politik der israelischen Regierung schärfer anprangert und sich „jüdischer“ zeigt, sondern gegen die ausländerfeindliche Stimmung, die die deutsche Gesellschaft, deren Mitte wohlgemerkt, vergiftet und die Atmosphäre nicht nur für Juden schwierig macht. Integration, interkulturelle Kompetenz, Seminare, Studien, Befragungen. Egal, ob sie gut oder mittelmäßig sind, schon die Tatsache, dass sie notwendig geworden sind, ist ein bedrohliches Signal. Da ist unser gemeinsamer Feind. Wir müssen unsere Verbündeten suchen, in allen Schichten der deutschen Gesellschaft und die reale positive Arbeit fördern. Nörgeln können wir dann immer noch, das können wir sowieso besser, das wird uns auch keiner nehmen.

Auf den Spuren von der AFP

Noch eine kleine Story über die propagandistische Einseitigkeit der Medien. Sie wurde im April-Heft der "Jüdischen Zeitung" 2008 abgedruckt.

Medialer Krieg um ein totes Baby

„Nach Angaben von Augenzeugen und palästinensischen Sicherheitskräften drangen am Dienstagabend erneut israelische Panzer in den Gazastreifen ein. Im Süden des Küstenstreifens wurde ein palästinensisches Baby von einem israelischen Soldaten erschossen.“

Das berichteten deutsche Zeitungen Anfang März in würziger Kürze, mit Hinweis auf die AFP als Quelle. War das Ziel der gepanzerten Operation die Erschießung eines Babys?

Der Blick in die vollständige AFP-Meldung lässt etwas anderes vermuten: „Nachdem israelische Panzer in der Nähe des Übergangs Kissufim in den Gazastreifen vorgedrungen seien, hätten Hamas-Kämpfer mit Handfeuerwaffen und Mörsergranaten auf die Truppen geschossen, berichteten Augenzeugen aus Chan Junis. Ein Aktivist der radikalen Bewegung Islamischer Dschihad und ein Säugling wurden demnach dabei getötet.“

Diese Fassung bringt etwas mehr Licht ins Dunkel: Die bösen Israelis sind unterbeschäftigt und marschieren einfach so ein, werden von Freiheitskämpfern beschossen, mit zwei zivilen Opfern als Folge. Der Babytod wird hier zu direkter Folge des Krieges aufgespielt, den Israelis immer wieder anzetteln.

Erst in der Zeitung „Jerusalem Post“ findet man eine komplette Darstellung als ein zugegeben kaum lesbares Puzzle aus mehreren Meldungen vor Ort:

„Elite-Einheiten „Egoz“ haben einen Kommandeur vom „Islamischen Dschihad“ im Gazastreifen in der Nacht auf Dienstag getötet. Wie Radio Israel berichtete, war er nach Angaben der Armee einer der Terroristenführer in der Gaza-Stadt. Darüber hinaus wurden drei bewaffnete Palästinenser in den Kämpfen mit IDF-Truppen im Zentrum von Gaza nach palästinensischen Angaben getötet. Augenzeugen sagten, dass etwa 25 gepanzerten Fahrzeuge in Gaza durch den Übergang Kissufim eintraten. Die Soldaten verhafteten zwei Terroristen vom „Islamischen Dschihad“ und zogen sich nach zwei Stunden zurück, sagten sie. Vertreter des Verteidigungsministeriums sagten, dass das direkte Ziel der präzis geplanten Operation in Chan Junis Terroristen waren. Die IDF bestätigte, dass die Operation beendet ist. Die Augenzeugen sagten, dass während der Auseinandersetzung IDF-Panzer Granaten feuerten und Hubschrauber mit Raketen angriffen. Offizielle Vertreter der palästinensischen Medizin sagten, ein ein Monat altes Mädchen wurde dabei von einem Querschläger getötet. Auch acht bewaffnete Männer und drei Zivilisten wurden leicht verwundet, sagten sie.“

Dank dieser sperrigen Information kann man endlich erkennen, dass dies eine so genannte gezielte Operation war. Einer der lokalen Führer des „Islamischen Dschihad“ sollte verhaftet werden, während der Schießerei kam er ums Leben, seine Wachleute wurden leicht verletzt. Dabei kam es auch zu dem schrecklichen Zwischenfall, bei dem das Kind starb.

Drei verschiedene Darstellungen, wie kommen Journalisten selbst damit klar? Der Redakteur war verblüffend offen: „Unsere Mitarbeiter haben keine Zeit, eine Meldung zu Ende zu lesen“. So sind die drei zitierten Zeilen der Pressemeldung zum Knüller geworden. Weder der Rest noch die Zusammenhänge, weder Sinn noch Auswirkung interessierten jemanden. Das ist der Medienalltag. Im Klartext: Kein Journalist stolpert darüber, wenn die „Agence France-Presse“ auf einer markanten Stelle ein Baby von einem israelischen Soldaten direkt töten lässt. Dies anzunehmen bzw. dem zu glauben ist so selbstverständlich geworden, dass die Wahrheitsprüfung dieses absurden Satzes nicht stattfindet.

Die Nachfrage bei der AFP ergab mehr. In deren schriftlicher Antwort steht: „Im Gegensatz zu der von Ihnen zitierten Berichterstattung in der "Jerusalem Post" berichteten unsere Quellen vor Ort - Krankenhausmitarbeiter im Süden des Gazastreifens -, das Baby sei von israelischen Soldaten bei einem Schusswechsel mit bewaffneten Palästinensern erschossen worden; von einem Querschläger war dabei nicht die Rede. (…) Die von Ihnen beanstandete Textstelle stammt aus einer Zusammenfassung vom 5. März, in der die Information vom Vorabend nur noch kurz in zwei Sätzen erwähnt wird. In diesem Fall wurde allerdings entgegen den Gepflogenheiten die Quelle nicht mehr genannt und eine Unschärfe in der Formulierung eingebaut, was wir bedauern.“

Na, dann ist alles gut. Wenn Israelis in jedem Satz ihre Quellen benennen, ist das nichts. Wenn die AFP keine Quellen nennt und dabei „eine Unschärfe einbaut“, dann ist dies nur zu „bedauern“. Ich bedauere die Millionen Leser, die auf die Weise zu Opfern des medialen Kriegs werden.

7. März 2008

Aus der Medienküche

Einseitig, dämonisierend, unausgeglichen... Worüber schreibt man so? Nichts Neues? Kann man nicht mehr davon hören und lesen? Sollen sie schreiben, was sie wollen?
Geht das vielleicht auch anders: sie schreiben und wir antworten? Zum Beispiel so ("Judische Zeitung", März 2008):

Das abenteuerliche Leben der Mörder
Drei Blicke auf den Nahostkonflikt

Der Blick auf die Ereignisse im Nahen Osten war zu keinem Zeitpunkt unparteiisch. Man hat dieselben Fakten gerne unterschiedlich ausgelegt. Die Medien sind darüber hinaus imstande, Fakten zu verschweigen oder selektiv darzustellen. So gut wie jeden Tag werden wir mit einseitigen und vorurteilsbehafteten Meldungen konfrontiert. Eine der Folgen ist, dass die Zahl der sogenannten Freunde Israels rapide steigt. Das sind allerdings oft solche Freunde, die dem Freund wohl all das sagen „dürfen“ wollen, was seine Feinde seit je wiederholen.

Ulrike Putz berichtet im "Spiegel" aus Gaza (fünfmal schreibt sie allein im Januar 2008 zum Nahostkonflikt): „Am Mittwochmorgen um drei Uhr früh sprengten Bewaffnete den acht Meter hohen Grenzzaun, der Gazas Südgrenze nach Ägypten absperrte. […]In der vergangenen Woche verschärfte sich die Lage in dem abgeriegelten Landstrich, als Israel auf intensivierte Raketen-Angriffe mit einer vollständigen Blockade reagierte.“ An anderer Stelle: "Zehntausende Menschen ziehen los, um noch das Nötigste aus dem Nachbarland zu holen.“

Hier wie dort wird suggeriert: Menschen brechen spontan in die Freiheit aus, aus der Not, die durch Israels Blockade ausgelöst wurde. Welche Freiheit? Die Antwort lautet: „Wer als Deutscher das Spektakel im Wüstensand betrachtet, kommt nicht umhin, sich an den Mauerfall vom 9. November erinnert zu fühlen.“ Ist die Rollenverteilung klar? Erst viel weiter wird zugestanden: „Der Durchbruch nach Ägypten ist von langer Hand vorbereitet worden, und in Gaza geht das nicht ohne die Hamas.“ Die „New York Times“ hat die Hamas-Planung längst mit Fakten belegt. Der „Spiegel“ zweifelt immer noch.

Die von Putz befragten Gaza-Bewohner schildern ihr Leiden höchst persönlich. Als Höhepunkt dieser Wolfsschluchtszene bringt Putz das Licht ins romantische Leben ihrer Gastgeber: „Tag für Tag landen ihre archaischen Bomben in israelischen Dörfern, Feldern, Kibbuzen. Israel antwortet, indem sie [sic!] die Mitglieder der Kassam-Kommandos per Luftschlag tötet.“ Einerseits „archaische“ Raketen, die verharmlost werden, - sie „landen“ ja nur, andererseits Israel, das „tötet“. Sie zitiert Bombenbauer: "Die Blockade der Israelis trifft uns nicht, die soll nur die Bevölkerung ins Elend stürzen." Dieses Bekenntnis wird von der Journalistin weder kommentiert noch in Frage gestellt, genauso wenig wie das andere Zitat: "Und guck dir die Israelis an, die haben F-16 und Apache-Helikopter und könnten wunderbar genau schießen. Und trotzdem töten sie unsere Frauen und Kinder." (Zur frappierenden Ungenauigkeit dieser Behauptung kommen wir noch.) Dafür beschreibt Putz viel ausführlicher die Raketen-Hexenküche, in der Sprache der Grimm-Märchen („Es riecht nach Silvester-Feuerwerk“).

Wenn sie sich aus Jerusalem meldet, erscheinen dagegen keine einzelnen Menschen: Die Rede ist vom Versagen der israelischen Regierung und des Militärs. Israels Sicht auf die Ereignisse transportieren anonyme Agenturmeldungen, wie vernebelt, aus weiter Entfernung. Meinungen werden ausschließlich aus der Zeitung „Haaretz“ angenommen, bevorzugt aus Sicht des sogenannten Friedensblocks. Sie alle sind von dem Bericht der Winograd-Kommission „enttäuscht“, denn darin kommt Olmert „ungeschoren davon“. „Das Wort der Vernunft“ hört die Autorin von Tom Segev, der diesmal als „altgedienter Kommentator“ eingeführt wird. Sie schlussfolgert: „Während des einmonatigen Kriegs wurden auf libanesischer Seite mehr als 1200 Menschen getötet, auf israelischer Seite starben rund 160 Zivilisten und Soldaten.“ Also Menschen auf der einen Seite, auf der anderen Seite dagegen Zivilisten und Soldaten. Soweit zur Sprache von Ulrike Putz.
Subtiler geht Bruno Schirra vor. Kein Wunder, sein Artikel erschien in der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“. Doch auch er berichtet aus Gaza, auch er gibt den Konflikt aus Sicht der Terroristen wieder. „Ein Frontbericht“ soll ja erschaudern. Ausgiebig zitiert er Hassbotschaften, malerisch zeichnet er „verzückte“ Zuhörer: „Ihre Augen leuchten glückselig“. Direkt benennt Schirra die aktuelle Lage der Palästinenser: „Krieg aller gegen alle, Islamisten gegen Islamisten“. Es fehlt auch nicht die Al-Qaida, die mit einem globalen Krieg droht. Israel wird im Artikel zweimal erwähnt. Einmal als unfähiger Informant, der „nie überzeugend beweisen konnte“, was Schirra mit eigenen Augen sehen kann. Oder auch als Angreifer aus der Luft, der einen seiner bombenden Gesprächspartner ins Jenseits befördert. Israelis erscheinen auch bei ihm nicht, sie sind im Nebel des Krieges, irgendwo.
Beide Journalisten bedienen ein bestimmtes Publikum. Putz beschäftigt sich mit der Umkehr der Täter zu Opfern: Terroristen werden idealisiert, friedliche Palästinenser von ihrer Verantwortung befreit - alle Themen dienen dazu, Mauer mit Mauer zu vergleichen und Möllemanns Mühle weiter zu drehen. Möchte sie „israelkritisch“ sein? Nimmt die Redaktion antisemitische Zuschriften im eigenen Online-Forum wahr? Schirra erzählt über das Widerliche der Gewalt, als wüsste das noch keiner. Der Journalist und die Zeitung sind sich aber offensichtlich einig, dass ihre Leserschaft diese Belehrung braucht. Ist das ein jüdisches Thema, über die Mörder von Juden ausführlich zu schreiben? Sich Angst machen? Werden Grauengeschichten bei Juden untergebracht, weil sie das angeblich lesen möchten? Ein Paradoxon: Die einen sehen nur die eine Seite der Medaille, weil sie von der Rückseite nichts wissen wollen. Die anderen müssen nur die andere Seite lesen, weil die erziehungswütigen Medien das von ihnen so erwarten. Die Leser, die Putz vor Augen hat, sind voreingenommen, weil sie bereit sind, Israel an allem Unrecht zu beschuldigen, welches Palästinensern widerfährt. Schirra hält seine Leser für unwissend, sie lassen sich aber gerne über die bösen Hassprediger aufklären. Israelis werden in beiden Fällen ausgeklammert.

Geht es anders? Alan Dershowitz hat (auf der Internetseite „Huffington Post“) das schwierigste Thema angesprochen – die punktuelle Tötung der Terroristen, die von Israel praktiziert und von den verschiedensten Seiten angeprangert wird. Es ist die Zahl der zivilen Opfer, die als kollateraler Schaden angemeldet wurde und für die Öffentlichkeit – die israelische wie die mediale weltweit – inakzeptabel war. Sie befand sich in den Jahren 2002-2003 im Verhältnis 1:1, das heißt infolge der israelischen Angriffe starben genauso viele Zivilisten wie „Militanten“. Zum Teil ist das auch eine taktische Überlegung der Terroristen - mittendrin im zivilen Leben zu agieren und sich mit menschlichen Schildern zu umgeben sowie mit allen medialen Mitteln den Gegner in die Enge zu treiben samt den inszenierten oder fälschlich zugewiesenen Tötungen (die berühmtesten davon sind Al Dura und Ghalija). Insofern war es eine kriegstechnische Herausforderung ohne gleichen. Dershowitz bringt statistische Daten und zeigt, dass sich das Verhältnis und somit auch das Blatt nun gewendet hat: Bei einem Proporz 1:30 im Jahr 2007 verloren 30 Gewalttäter, aber nur ein Zivilist ihr Leben.

Immer noch grausam? Gibt es hier überhaupt einen Grund sich zu freuen? Das sind alles berechtigte moralische Fragen, nur werden sie angesichts der bedeutenden Verbesserung der technischen und taktischen Kriegsführung auffallend ignoriert – von den Medien und somit auch von der Öffentlichkeit. Über das abenteuerliche Leben der Mörder zu schwärmen oder sich zu empören ist leichter – eben moralisch leichter. So erzählt man weiterhin aus Sicht von Terroristen, die ohne Bedenken zu Freiheitskämpfern stilisiert werden. Die andere Perspektive bleibt vergessen und im Dunkeln: Entpersonalisierte Israelis degradieren zur anonymen Masse. Leichter Hand und kommentarlos werden falsche Behauptungen übernommen, die positiven Fakten auf israelischer Seite allerdings im selben Atemzug ignoriert, sei es die einmalige Fähigkeit zur Selbstkritik oder die einmalige Leistung in der Minderung der zivilen Opfer beim Krieg gegen Terror.

24. Februar 2008

Merkwürdigkeiten des christlich-jüdischen Dialogs

Durch die Arbeit am Artikel über das Buch von George Steiner bin ich auf das Thema "Kafka und der Talmud" gekommen. Das wird wohl ein Seminar werden. Bei den Recherchen dazu sind mir einige merkwürdigen Bücher aufgefallen, die den folgenden Aufsatz geradezu herausgeforderten. Glücklicherweise war auch die "Jüdische Zeitung" dieser Meinung (Februar 2008).

Emergency: Die Emergenz wird emeritiert!
"Das Glasperlenspiel" geniert sich seiner christlichen Prägung nicht: Es opfert sich so schön selbstmitleidig. Hermann Hesse versteckt sich und seine Zeit darin nicht. In der Tat: Der Roman steht unter dem Zeichen des Weltuntergangs. "His dark materials" spielen mit demselben Selbstaufopferungsmotiv, zeigen den Gotteskampf, den Überdruss an der Kirche in Geschichte und Gegenwart. Philip Pullman denkt darin aus der christlichen Kultur heraus, operiert mit deren Motiven. Und doch ist sein in Anspielungen aktueller Roman voll der Hoffnung. So weit die Belletristik.

Die christliche Kultur braucht aber nicht nur Romane, sie kann ohne ihre Theologie auch nicht auskommen, darin befragt sie ihre Werte und spiegelt sich, auch wenn es nur am Rande geschieht. Theologen sind viel mehr als Romanautoren mit der Kirche und den Universitäten verbunden, sie existieren genau dazwischen. Nur in der Verflechtung des organisierten Denkens können sie bestehen - die jahrhundertealte schwerwiegende Tradition ist da, sie zwingt, zurückzudenken. Wie steht es aber mit dem Bezug zur Aktualität? Beeinflusst sie das theologische Denken? Wie hält man’s mit dem heutigen, gepriesenen Dialog zwischen Christentum und Judentum? Nach der Shoa und dem Versagen der christlichen Kirchen und Gesellschaften wird dieser doch so unermüdlich auf allen Ebenen, in unzähligen Vereinen betrieben.

Ein Schlüsselwort scheint heute in diesem engen Sinne die "biblische Theologie" zu sein. Während der tausendjährigen seltsamen Koexistenz hat die Kirche seit je versucht, die Schrift dem Urheber zu entziehen. Durch die griechische ("Septuaginta") und später lateinische Übersetzung ("Vulgata") war die Grundlage dafür erschaffen - nicht nur für das Christentum, sondern auch für die Herabsetzung des Judentums. Ist es in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts vorbei damit? Nein. Die römisch-katholische Liturgie betet seit diesem Jahr am Karfreitag wieder "pro perfidis Judaeis". Die Empörung innerhalb der Kirche hält sich in Grenzen: Die meisten merken davon gar nichts.

Im Zuge der Aufklärung und der Toleranzedikte entstand für Juden der Zugang zur christlichen Umgebung, unter anderem auch zur Universität. Auf theologischem Gebiet will man den Dialog fördern, heute mehr denn je. So wird zum Beispiel seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts in Jesus ein observanter Jude entdeckt und im Christentum alle möglichen Züge der jüdischen Tradition: Die Nächstenliebe haben wir doch gemeinsam. So wird auch den Juden nahe gelegt, dass die Beschäftigung mit dem Talmud in mindestens einigen ihrer Abzweigungen auch eine Theologie sei, da sie sich als eine textorientierte autoritätsbezogene Kommentartätigkeit beschreiben ließe. Weil jüdische Gelehrte und Rabbiner darauf nicht unbedingt von alleine kommen, braucht man dafür erst ein evangelisches Seminar, in dem dies erörtert wird. Am besten überlässt man das Referat zum Thema einem israelischen Gast: So geschah es 2001 in Münster. Shimon Gesundheit kam aus Jerusalem und berichtete exzellent über das, was er als jüdische Theologie der Hebräischen Bibel bezeichnete. Seine bewundernswerte Eloquenz sah so aus: Nach mehreren faktischen Beweisen, dass es eine solche genuin nicht gibt und par excellance nicht geben kann, schwenkte er um und behauptete, dass es sie doch wohl gibt. Er begann mit dem ausgiebigen Zitat aus dem Buch von Leo Adler "Der Mensch in der Sicht der Bibel" (1965), seinerzeit Rabbiner in Basel, der von der Frage ausging, „ob es der Mensch ist oder Gott, welcher den zentralen Gegenstand der biblischen Erläuterung bildet.“ Wenn das Göttliche, „dann ist die Bibel eine Lehre von Gott, eine Theologie. Setzen wir dagegen den Menschen als den Hauptgegenstand der biblischen Betrachtung, so ist die Bibel eine Lehre vom Menschen“. Adlers Antwort: „Zweitausend Jahre überlieferten jüdischen Denkens lassen keinen Zweifel darüber, dass es der Mensch ist, der nach jüdischen Auffassung von der Bibel erforscht und aufgesucht wird.“ Eine klare, unmissverständliche Zurückweisung.

Gesundheit benannte einige weitere Bücher, ohne allerdings daraus zu zitieren, und erklärte sie für wichtig, was sie wohl auch sind. Deswegen und eigentlich nur deswegen seien sie ein ausreichender Beweis für die Existenz einer jüdischen Theologie. Seine Zuhörer sind ihm durchaus dankbar und nachsichtig - sie wissen dies nämlich auch ohnehin. Nur suchen sie sie nicht in jüdischen oder jüdisch geprägten Quellen, sondern woanders, am besten in der Textologie literaturwissenschaftlicher Prägung, frei von Zwängen kultureller, religiöser, mentaler, historischer Unterschiede.

Ein anderes Beispiel: 2006 erschien ein Buch von einem evangelischen Theologen aus Bonn. Der Autor heißt Günter Bader, er ist soeben emeritiert; das Buch: "Die Emergenz des Namens". Es findet sich keine einzige Besprechung des 400-seitigen Folianten, weder Lob noch Kritik. Ist es zu schwer geschrieben? Zu speziell? Oder zu schwach? Gründe der kollegialen Nicht-Beachtung sind mir unbegreiflich, suspekt. Es ist eine lange, stellenweise vielleicht langatmige Abhandlung, die allerdings an manchen Stellen Begeisterung am Thema und an der Formulierungskunst ausstrahlt. Spannend ist das Buch allemal: Erst die zwei letzten Seiten zeigen des Pudels Kern. Beizeiten entsteht das Gefühl, der Autor habe Angst das auszusprechen, worauf er eigentlich hinaus will: Die Theologie ist am Ende und deren Selbstdestruktion nicht aufzuhalten.

Bader beginnt mit dem Tetragrammaton, stützt sich auf die lateinisch geschriebene Untersuchung Luthers und verfolgt das Thema des unaussprechlichen Gottesnamens in der theologischen (Aquin, Areopagita), altphilosophischen (Platon), linguistischen (Jakobson), psychologischen (Goldstein), kabbalistischen (Scholem) und neuphilosophischen (Rosenzweig, Levinas, Derrida) Literatur. Sympathien des Autors liegen deutlich bei der Kabbala, insbesondere bei der sogenannten exstatischen Kabbala, die er ausführlich – mit Scholem als Wegbegleiter – im Werk von Abraham Abulafia (13. Jahrhundert) findet. Darin entdeckt Bader „die Latenz der Übereinstimmung zwischen jüdischer und christlicher Hermeneutik im Zeichen des Platonismus“. Er betrachtet die Sache von zwei „gegenläufigen“ Positionen aus und bringt kritisch die christliche Polemik hinein: „Christen, so heißt es, lesen die Schrift nicht beschränkt wie die Juden, die am Literalsinn haften. Jüdisches Lesen führe zu Rande und Schale, christliches dringe in Mark und Kern. Miseri Judaei…“ Dagegen hält Bader: „Nun ist aber in der theosophischen Kabbala eine jüdische Überlieferung aufgetreten, die genau das lehrt, was ihr der christlichen Polemik zufolge gefehlt haben soll“. Und weiter: „Es gilt, nicht etwa das antijüdische Vorurteil sei es aus Scham, sei es aus Opportunismus zurückzuziehen, was unglaubhaft bliebe, sondern im Gegenteil: es zu intensivieren, solange, bis das Fortgewiesene umschlägt und als Herbeizurufendes zurückkommt, zur Belehrung der Christen.“ Und noch weiter: „Miseri Christiani; das ist der Kern dessen, was hier zur Verhandlung steht, und die Emergenz des Namens ist nichts als ein Schibboleth hierfür.“

Machen wir hier eine kurze Pause, ich musste eine lange Passage in gekürzten Form zitieren. Sie zeigt, wie Bader die „eigentümliche“ jüdische Sicht verteidigt und sie zum gewissen Vorbild für die christliche macht. Ja, unverkennbar, und auf den ersten Blick gut gemeint. Er sorgt sozusagen für Gerechtigkeit, indem er den Vorwurf der Christen an die Juden ironisch umpolt – von den elenden Juden auf die elenden Christen. Der aufmerksame Leser hat aber bestimmt auch eine Besonderheit rhetorischer Argumentation wahrgenommen: Dafür, ein antijüdisches Vorurteil „zurückzuziehen“, gäbe es nur zwei Gründe – aus „Scham“ oder aus „Opportunismus“. Beide wären allerdings „unglaubhaft“. Besser sei es, das Vorurteil zu „intensivieren“. Ernst gemeint?

An anderer Stelle ist die Wortwahl Baders nicht weniger merkwürdig: „Dass das schöne griechische Wort theologia mit dem erhabenen hebräischen Namen יהוה in Verbindung gebracht wird, ist bereits für das Auge anstößig, um wie viel mehr für das Denken. Wir knüpfen Theologie an ein biblisches Fremdwort, das sie nicht selbst hervorgebracht hat, zudem an ein solches, das seinen Sprecher nicht als den lässt, der er war.“ Es bilden sich Wort- und Wertungspaare – schön/anstößig sowie wir/Fremdwort. Ein Zufall?

Noch ein Zitat: „Das Tetragramm der Kabbalisten kann nicht ausgesprochen werden, selbst wenn man es wünschte; es ist ineffabile omnibus modis. Das Tetragramm des Talmudisten kann sehr wohl ausgesprochen werden, wird aber nicht; es ist nomen Dei scriptum, sed ineffatum. […] Das ist die befremdliche An-, nein: Zumutung, die vom hebräischen Tetragramm ausgeht. Erst hebräisch ist es sinnentblößt genug, um sich griechischem Sinnverlangen zu widersetzen.“ Auch hier beschreibt Bader den jüdischen Umgang mit dem Tetragramm an sich korrekt, auch wenn die lateinischen Formeln den Inhalt christianisieren. Die Wortwahl lässt aber nach und nach aufhorchen: „befremdlich“, „Zumutung“ etc. Ist es denn so schlimm, als Theologe immer wieder mit den jüdischen Wurzeln konfrontiert zu werden? Warum nur widersetzt sich der Hebräer dem griechischen Sinnverlangen, warum entblößt er sich dazu?

Und was ist mit der Theologie selbst? Da sieht Bader eher schwarz: „Der Name Gottes ist zerfallen, zersprungen, zerschlagen in Stücke, die Stücke abermals in Stücke, und die Sprache, die sich durch den Namen hatte sammeln lassen, ist verwandelt in einen Schutthaufen aus Buchstaben und einen Trümmerberg aus Lauten.“ Nach einem langen Derrida-Exkurs schlussfolgert Bader: „Das Tetragramm ist gerettet, indem es sich ausstreicht“. Seine Interpretation der Perspektive klingt dekonstruktivistisch: „Es ist die Selbstauslöschung, mit der sich der Name in den Text, und es ist die semantische Selbstzerstörung, mit der er sich in die Sprache ritzt.“ Hier knüpft Bader an den Anfang seines Buchs an, an die minutiöse Darstellung Luthers Studie „De nomine dei tetragrammaton“ (1519). Er ist fasziniert von dem wichtigen Detail der Originalausgabe, vom „einzigartigen Schauspiel, dass für einen Moment das fortlaufende Band der lateinischen Lettern bricht. Es entsteht eine Lücke, in die יהוה handschriftlich eingetragen werden sollte.“

Dieses Faszinosum zieht sich durch das Buch: „Das bloße Tetragramm in seiner unreduzierten Fremdheit gibt bereits viel zu denken. Aber so scharf Luther dies wahrnahm, angezogen davon war er mitnichten. Sein Urteil, der jüdische Gebrauch des Namens Gottes sei nichts anderes als abergläubischer Missbrauch und Blasphemie des Namens Christi, und die jüdische Weise der Heiligung des Namens stelle nichts dar als den fortgesetzten Verstoß gegen das Zweite Gebot: das lassen wir besser unkommentiert. Beim Nicht-Verhandelbaren steht Zeugnis wider Zeugnis. Unkommentiert bleibe daher ebenso die jüdische Stimme, die nur zu genau weiß, was Heiligung des Namens für Juden zu bedeuten hat.“ Im Anschluss darauf zitiert Bader aus einer Chronik über das Pogrom in Mainz am 27. Mai 1096, ohne mit einem Wort die Mörder beim Namen zu nennen.

Fassen wir zusammen: Bader vermeidet die Kommentierung der antijüdischen Positionen Luthers. Warum? Weil es aus Scham und Opportunismus „unglaubhaft“ wäre? Luthers Position ist für Bader „nichtverhandelbar“ und zumindest gleichwertig mit der jüdischen. Er sieht sich bei einer „Verhandlung“ und stellt Zeugnis gegen Zeugnis. Auf der einen Seite also ein Zeugnis –Luther würdigt 1519 den jüdischen Glauben herab, womit auch die weitere Wortwahl Baders einhergeht („befremdlich“, „Zumutung“ usw.). Auf der anderen Seite auch ein Zeugnis - an ihrem Glauben festhaltenden Juden werden von Kreuzrittern 1096 ermordet. Auch dies bleibt unkommentiert. Warum? In der feinfühligen Annahme, der Leser wisse Bescheid? Ich wage zu behaupten, der Leser hat etwa Simon Dubnows Bände der jüdischen Geschichte (mit dem passenden Kommentar zum Pogrom in Mainz sowie zu den antijüdischen Texten Luthers) eben nicht parat und kann den Zusammenhang so ohne Weiteres nicht verstehen. Im schlimmsten Fall sogar ganz im Gegenteil. Sind denn die gegeneinander gestellten Zeugnisse wirklich gleichwertige Prämissen? Bilden sie eine logische Argumentationskette? Anders gefragt, warum vergleicht Bader hier nicht Verfolgungen der frühen Christen mit den antijüdischen Pogromen und stellt Luthers Polemik nicht den Schriften Leo Baecks gegenüber?

Und jetzt zurück zur „jüdischen Theologie“. Bader will doch Luthers Quellen untersuchen und geht der „jüdischen Theologie“ nach. Zitiert werden dabei Pico della Mirandola, Reuchlin und Hieronymus, alles wohl gemerkt keine jüdischen Autoritäten, wobei beim letzten (bekannt für seinen Antijudaismus) Bader dessen besondere Bedeutung für Luther unterstreicht – „unter dem Aspekt der Absonderlichkeit“. Das sei für Luthers „Umgang mit jüdischer Theologie ebenso treffsicher wie stilbildend“ gewesen. Dann ist also alles in Ordnung.

Langsam dämmert es, was dabei gemeint ist: „Jüdische Theologie“ ist für Bader die Summe der Kenntnisse der christlichen Autoren über das Judentum. Im Buch zeigt er auch sein zweifellos umfangreiches Wissen über das eigentliche Judentum und differenziert, wie oben gezeigt, zwischen der Kabbala, der Talmudistik und dem rabbinischen Judentum, nur um daraus seine eigene Posttheologie abzuleiten. Weder der geschichtliche Kontext noch die aktuelle Situation der beiden Religionen werden explizit behandelt. Das Buch lebt im Geiste des Autors, wo Platon und Rosenzweig, Luther und Levinas Zeitgenossen sind und mit hohem Pathos Geheimnisse des Unaussprechlichen deuten. Alles, was passt, wird hier zu einem Teil christlicher Lesart; was nicht passt, bleibt unerwähnt.

Es gibt ganz sicher andere Bücher, andere Arten des christlich-jüdischen Umgangs miteinander. So viel zum aktuellen Stand des christlich-jüdischen Dialogs: Emergency! Nur durch die Emeritierung zu retten?

Musikvermittler unter sich

Seit Jahren arbeite ich an dem Thema, wie man die Musik interpretiert - in der Aufführungskunst und im Wort. Viele Artikel, viele Seminare sind ein Resultat davon. So interessiert mich selbstverständlich, was Kollegen auf dem Gebiet machen. Es ist nämlich nicht immer goldig! Das fand die "Jüdische Zeitung" im Februar 2008 auch:

Schubert Germanicus
Nicht jeder will über Musik reden – die meisten Melomanen befürchten dabei einen viel zu großen Verlust an musikalischer Immanenz. Einerseits kann das ja auch passieren, wenn ein Meisterwerk in plumpe Banalitäten übersetzt oder in allzu technischen Begriffen nacherzählt wird. Andererseits gibt es zum Reden eben keine Alternative, denn nur über das gesprochene Wort verständigen wir uns und tauschen unsere Musikauffassungen aus. Besonders wortgewaltige Musikliebhaber schreiben ihre Klangvisionen auf – so wie Thomas Mann uns gelehrt hat. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist eine neue Form der Musikvermittlung entstanden, von der das Radio insbesondere profitiert.

Einige der Musiksendungen sind inzwischen traditionsreich und beliebt. Oder besser gesagt, ihre Autoren. Einer der berühmtesten auf diesem Markt ist Joachim Kaiser. So auch zu Beginn des Jahres: Im Deutschlandfunk erklang seine Einführung in die Große C-dur Symphonie von Franz Schubert. Zwei Eigenschaften dieser Sendung machen sie besonders interessant und exemplarisch - die ernsthaft gemeinte Germanisierung des Gegenstandes und die normative Kunstauffassung.

Kaisers Schubert lebt in einem Geistesland. Weder biografische noch historisch relevante Details werden vermittelt, dafür umso mehr angedeutet bis ausgesprochen, wie germanisch seine Musik sei. Dazu gehören Begriffe wie Wandern, Wald, Schlösser und Echo. Wer sich dafür nicht interessiere, der könne Schubert nicht erschließen. Um das zu betonen, erzählt Kaiser sein privates Gespräch mit Gershom Scholem nach: Der Germane Kaiser fragte den Juden Scholem, ob dieser Lust habe, im Wald spazieren zu gehen. Darauf antwortete jener: „Wir Juden gehen lieber ins Kaffeehaus!“ Es folgt eine gut gemessene Pause. Währenddessen sollte einem jeden klar werden: Die Germanen gehen nie ins Kaffeehaus; Schubert wusste bestimmt nicht einmal, was das ist; Juden ihrerseits haben den Wald nie von innen gesehen. Wäre diese Anekdote eine Ausnahme, würde ich das für einen Anfall der Eitelkeit halten. Dem ist jedoch nicht so, weiter werden mehrere nichtgermanischen Persönlichkeiten eingeführt – betont unterstrichen wie „der Rumäne Celibidache“, der Schubert „behäbig“ spielte, sowie Bruno Walter, der aus unerwähnten Gründen „1933 emigrieren musste“ und „fast amerikanisch“ musizierte. Charles Mackerras schafft es nur bis zu „etwas substanzlos“: Der plappere ja nur, ihm fehle „das Emphatische“. Leonard Bernstein ermangelte es am „Geheimnisvollen“. Auch mit dem „abgründig Traurigen“ konnte dieser nicht viel anfangen: „Damit wird aber Entscheidendes versäumt“.

Es bleiben zwei, die alles richtig gemacht haben, - Furtwängler und Wand. Es erübrigt sich zu betonen, dass beider Germanischkeit sicher ist. Die besonderen Qualitäten der meisterhaften Aufnahmen werden in höchst pathetischer Sprache aufs ausführlichste gepriesen. Irgendwann am Ende der Sendung kommt dann doch die Krönung der Argumente: Die Furtwängler-Aufnahme 1942 sei deswegen besonders gelungen, weil sie aus der Zeit stamme, als „die Stalingrad-Katastrophe ankam!“ Sie ist tatsächlich aber bei Konzerten entweder am 30. Mai oder vom 6.-8. Dezember entstanden. Genau weiß man das bis heute nicht. Tja, wie auch immer, die sogenannte Katastrophe wurde aber im Januar real und erst im Februar 1943 der breiten Öffentlichkeit bekannt. Furtwängler konnte sie im Monat Dezember noch nicht spiegeln (im Mai noch weniger). Außerdem war er mit seinen Konzertreisen durch das besetzte Europa sowie mit der Wiener „Tristan“-Inszenierung noch zu ausgelastet, um sich über die eine oder andere bevorstehende Katastrophe Gedanken zu machen.

Karl Böhms Referenzaufnahme mit ihrer Wiener Färbung taucht nicht auf - ebenso wie „Österreich“, „Wien“ keinerlei Erwähnung finden. Ich könnte noch ein Dutzend sehr unterschiedlicher Dirigenten nennen, die ihren Schubert gefunden haben. Es gibt nämlich keine einzig richtige, für alle Zeiten mustergültige Interpretation.
Schubert durch Stalingrad zu ziehen, scheint eher Teil der Erinnerungskultur eines kriegstraumatisierten Menschen zu sein. Auch wenn diese Erinnerung, wie gezeigt, etwas verzerrt ist, bleibt sie durchaus ein Fakt: So hört Kaiser Schubert eben, das ist seine zeitbedingt entstandene Auffassung, die als privates Dokument sehr wohl ihre Berechtigung hätte. Nur wird sie als Mittel patriotisch orientierter Kulturdeutung ausschlaggebend eingesetzt. Eine deutsche Musikinterpretation als einzig wahre Norm - muss das sein?

25. Januar 2008

Tony Judt auf den Spuren von Hannah Arendt

Die vor zwei Monaten angekündigte Besprechung zu den Folgen des neulich veröffentlichten Offenen Briefes muss ich irgendwie strukturieren. Es sind nämlich inzwischen mehrere Texte entstanden, sowohl pro als auch contra. Sie ersetzen in ihrer Fülle die nicht existente öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Insgesamt haben die Geheimhalter der Jury verloren - sie konnten die Preisverleihung nicht als Sieg in ihrem unermüdlichen Kampf für den demokratischen Dialog verkaufen und verhüllten sich im ignoranten Schweigen. Egal wie sie sich anstellen, sehen sie sich in einem Eiertanz, weil sie auf keinen Fall die wahre Begründung offenlegen wollen (Judt bekommt seinen dritten deutschsprachigen Preis im Jahr 2007 für seine antiisraelische Position!), weil Judt und seine Verteidiger in der von uns losgelösten Diskussion ihn als "Israelkritiker" präsentieren und loben, weil sein Europa-Buch in diesem Kontext nur als Aufhänger erscheint.

Anschließend folgen besagte Texte selbst - meist in Auszügen.

Aber zuerst soll eine kurze Auswertung der Stimmen geschehen. Die ausgewogene Darstellung der Positionen gelingt in vier gedruckten Artikeln (3,6,7,14) und einem Blogartikel (5). Die angeblich neutrale Juriposition wird entlarvt und in den Kontext der medialen Rolle Judts gestellt. Die meisten Autoren gehen ausführlich auf die Einstellung Judts gegenüber Israel ein, der Blogtext außerdem auf die Einschätzung der europäischen Geschichte im gepriesenen Buch Judts. Keine dieser Stimmen unterstützt die positive und hervorhebende Darstellung in dem Lobtext der Jury, sie alle widersprechen ihm und solidarisieren sich mit dem Protestbrief.

Wie aus unserem Leserbrief (12) deutlich wird, haben weder die Jury noch die Stiftung inhaltlich und direkt auf den Protestbrief geantwortet. Alleine Bürgermeisterin Frau Linnert ging darauf in ihrer Rede (13) ein. In dem dpa-Text (8) wird der Protestbrief sogar mit keinem Wort erwähnt - so wird ein Versuch unternommen, die Diskussion zu verhindern und die vorhandene Kritik zu verschweigen. Da der dpa-Text direkt von der Stiftung kommt, klingt die Empörung von Frau Grunenberg (14) und Herrn Rüdel (2) besonders bizarr, insbesondere in dem Moment, als sie sich zu Statthaltern der Diskussionskultur einer Hannah Arendt erklären. Aber auch in ihren Stellungnahmen zu dem Protestbrief zeigen sie sich uninformiert und nichtssagend. So sieht Peter Rüdel in Judt "einen Kritiker der aktuellen Politik Israels. Ein Mann, der freiwillig in der israelischen Armee gedient habe, stelle gewiss nicht Staat Israel in Frage." Das bedeutet, P.Rüdel kennt sich mit der Position Judts nicht aus und argumentiert dazu noch nicht einmal mit dessen Texten, sondern mit dessen Biographie, und zwar mit dem Fakt, dass Judt für eine kurze Zeit für die israelische Armee nach dem 1967-Krieg dolmetschte - mehr dazu in dem anderen Artikel in diesem Blog; Ingo Way ist über den Passus Rüdels auch empört (siehe unten bei 6). Genauso ungeschickt reagiert Rüdel auf die Feststellung, dass den jüdischen Kritikern Judts keine Möglichkeit geboten wird mitzudiskutieren: "Der Preis sei [...] auch in den vergangenen Jahren an einem Freitag verliehen worden". Sicher, das ist kein Problem für Tony Judt sowie auch für die gesamte Heinrich-Böll-Stiftung. Wenn man aber eine Diskussion mit einem "guten Juden" auf die Schabbatzeit ansetzt, muss ein Protest kommen, und dann ist die Antwort Rüdels kontraproduktiv - eine Diskussion wird von ihm auf diese Weise unterdrückt, was im Radiobeitrag von W.Stenke (15) ignoriert wird.

Genauso scheinheilig sind die Verteidigungsworte von Frau Grunenberg (14), die mit keinem Wort auf die Kritik eingeht, sie dafür aber als "unsachlich" und "diffamierend" bestempelt. Vollkommen ignorant ist sie gegen die Kritik an ihre eigene Adresse und will den Protest als einen persönlich ausgerichteten Kampf gegen Judt sehen. Indem sie dies tut und sich dazu auch noch hinter dem Namen von Hannah Arendt versteckt, macht sie genau das Gegenteil von dem, was sie ansagt, sie nämlich unterdrückt die Diskussion. Der Radiobeitrag von W.Stenke (15) ist vielleicht der einzige Versuch, Judt und die Jury inhaltlich zu verteidigen. Deswegen wird er etwas ausführlicher (siehe unten) behandelt, um die Lächerlichkeit seiner Argumentation offenzulegen.


1. Am 21.11.2007 im täglichen Programm des Bremer Fernsehens "Buten un Binnen":

Jüdische Gemeinde kritisiert Preisträger

Die jüdische Gemeinde Bremen ist unzufrieden mit der Verleihung des Bremer Hannah-Arendt-Preises an den Historiker Tony Judt. In einem offenen Brief hat ihm die jüdische Gemeinde vorgeworfen, Zitate zu manipulieren oder zu erfinden, um seine politischen Ansichten zu untermauern. Der in New York lebende Historiker Judt soll die Auszeichnung am 30. November erhalten. Finanziert wird der Preis vom Bremer Bildungssenator und der Heinrich-Böll-Stiftung.


2. Am 21.11.2007 in der späteren Ausgabe des Bremer Radios:

Jüdische Gemeinde Bremen kritisiert Preisvergabe

Die Jüdische Gemeinde Bremen hat die Vergabe des diesjährigen Hannah-Arendt-Preises an den britischen Historiker Tony Judt kritisiert. In einem offenen Brief wirft die Gemeinde der Preis-Jury, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Bremer Senat vor, sie habe einen Mann mit einer israelfeindlichen Einstellung ausgewählt. Wenn jemand Jahr ein Jahr aus sage, Israel sei umstritten, gehasst und ein Besatzer und Kolonialist, dann sei das keine Kritik an der Regierung sondern eine antiisraelische Haltung, heißt es in dem Brief und weiter:
Der in New York lebende Historiker Judt vertrete die offizielle palästinensische Sicht auf die Geschichte, samt der erfundenen und verdrehten Fakten sowie des antiistraelischen Vokabulars. Kritisiert wird auch der Termin der Verleihung am Freitag kommende Woche und die zusammenhängende Diskussionsveranstaltung am Samstag Morgen. Juden, die traditionell den Sabbat begängen, seien so von der Teilnahme ausgeschlossen.
Peter Rüdel von der Bremer Heinrich-Böllstiftung kann die Kritik nicht nachvollziehen. Judt sei kein Israelkritiker sondern ein Kritiker der aktuellen Politik Israels. Ein Mann, der freiwillig in der israelischen Armee gedient habe, stelle gewiss nicht Staat Israel in Frage. Der Preis sei darüber hinaus auch in den vergangenen Jahren an einem Freitag verliehen worden.


3. Die TAZ widmete dem Ereignis einen Artikel von KLAUS WOLSCHNER am 23.11.2007:

Arendt-Preis für Israel-Kritiker

Die Bremer Jüdische Gemeinde kritisiert die Vergabe des Hannah Arendt-Preises an den New Yorker Historiker Tony Judt. Der kritisiert die Israel-Lobby in den USA und plädiert für ein binationales Israel

Dass die Verleihung des Hannah-Arendt-Preises an den Historiker Tony Judt zu Debatten führen würde, war klar - und anscheinend doch überraschend. In der Begründung der Jury für die Wahl des Preisträgers wird auf dessen kritische Position zu dem Staat Israel nicht eingegangen. Die Jury will Tony Judt würdigen "als eine Persönlichkeit, die sich in der öffentlichen Debatte über Europa und den Westen auf vielfältige Weise engagiert". Er sei ein "Historiker, der weiß, dass historische Ereignisse nicht ohne ihre vielfältigen Kontexte verstanden werden können", ein "politischer Denker, der seine Sicht auf die Geschehnisse der Zeit in die öffentliche Kontroverse einbringt", schließlich sei er ein "politischer Essayist" und "streitbarer Zeuge seiner Zeit". Die Jury bezieht sich auf sein 2005 erschienenes Buch "Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart".

Im vergangenen Jahr sollte Judt, Leiter des Remarque Institute an der New York University, im polnischen Konsulat einen Vortrag über Israel-Lobbyismus in der amerikanischen Außenpolitik halten. Als das polnische Generalkonsulat den Vortrag kurzfristig absagte, gab es eine große Debatte um die Meinungsfreiheit in den USA.

Judt, in seiner Jugend Zionist, plädiert heute für einen "binationalen Staat Israel", in dem Palästinenser und Juden zusammenleben sollen. In einem Essay für die New York Review hat er formuliert, Israel sei ein Anachronismus und die Frage aufgeworfen, ob in der heutigen Welt für einen jüdischen Staat Platz sei. Das ist der Punkt, an dem jetzt auch die Jüdische Gemeinde Bremen mit einem offenen Brief interveniert. "Sein Programm des binationalen Staates ist, nach treffenden Worten Leon Wieseltiers, keine Alternative für Israel, sondern die Alternative zu Israel", schreibt Elvira Noa für das Präsidium der Jüdischen Gemeinde. Dieser Aspekt der Bedeutung des Historikers Judt werde "in der Jurybegründung mit einem großem Schamblatt zugedeckt". Judt verbreite "die offizielle palästinensische propagandistische Sicht auf die Geschichte". Er sei als Historiker bei weitem nicht so anerkannt und gepriesen wie als Israel-Kritiker.

In der Tat ist Judt in den USA vor allem durch die Auseinandersetzung mit der Israel-Lobby in den Medien bekannt geworden. Er verbindet seine Kritik der Israel-Politik der USA mit einem Angriff auf die Legitimation der amerikanischen Juden: "Amerikanische Juden sprechen nicht Jiddisch, auch nicht Hebräisch, sie gehen nicht in die Synagoge, sie sind völlig amerikanisch", sagt er. "Ihr Judentum bestimmt sich durch zwei Momente: durch eine Identität im Raum, das ist die Identifikation mit Israel, selbst für jene, die niemals dort waren. Und durch eine Identität in der Zeit, eine Identifikation mit Auschwitz. Jude sein in Amerika bedeutet, Auschwitz erinnern und Israel unterstützen, weil Israel der beste Schutz vor einem neuen Holocaust ist."

Wohlwollende Kritiker nennen Judts Position zum gemeinsamen Staat von Juden und Palästinensern naiv. "Tony Judts Vorschlag, der als Jugendlicher eine hebräische Schule besuchte, im Haus seiner Großeltern mit jiddischer Kultur erzogen wurde und nach der Schule ein Jahr in einem israelischen Kibbuz lebte, ist eher der Ausdruck politischer Verzweiflung vor dem Hintergrund einer lebenslang favorisierten linkszionistischen Utopie denn ein ernsthaftes politisches Programm", meinte etwa Micha Brumlik in der taz.


4. Auf diesen Artikel folgte ein Leserbrief am 27.11.2007:

Verwirrende Kritik

Betr.: "Arendt-Preis für Israel-Kritiker", taz nord vom 23. 11. 2007

Tony Judt wünscht, dass Israel ein Staat wird, in dem Juden und Araber gleichberechtigt sind. Deshalb kritisiert die Jüdische Gemeinde Bremen, dass Tony Judt den Hannah-Arendt-Preis 2007 bekommt. Diese Kritik verwirrt. Wer sollte sonst diesen Preis bekommen? Genau das ist es doch, was Hannah Arendt forderte! Sie beklagte, dass die Amerikanische Zionistische Organisation 1944 das Programm Ben Gurions übernahm: das Ziel eines jüdischen Staates, der ganz Palästina umfassen solle: "Dies ist ein Todesstoß gegen die jüdischen Parteien in Palästina selbst, die die Notwendigkeit einer Verständigung zwischen dem arabischen und dem jüdischen Volk predigten... Wenn Zionisten auf ihrer sektiererischen Ideologie beharren und in ihrem kurzsichtigen 'Realismus' fortfahren, dann werden sie auch die kleinen Chancen verspielen, die kleine Völker in unserer nicht sehr schönen Welt heute noch haben." Fazit: Die Jüdische Gemeinde Bremen würde auch gegen die Verleihung des Hannah-Arendt-Preises an Hannah Arendt protestieren. ROLF VERLEGER, Lübeck


5. Im Blog "Lizas Welt" wird das Thema am 26.11.2007 online besprochen(Link). Ein sehr gelungener Beitrag aus meiner Sicht, mit einer großen Wirkung.

6. Ingo Way hat in der "Jüdischen Allgemeinen Zeitung" am 29.11.2007 einen Artikel dazu geschrieben und online in seinem Blog gestellt (Link). Am selben Tage schrieb er noch einmal zum selben Thema.

7. Am 30.11.2007, am Tage der Preisverleihung, brachte die "Welt" einen größeren Artikel von Jacques Schuster zum Thema:

Empörung über Arendt-Preis für Tony Judt

Der englische Historiker Tony Judt erhält heute in Bremen den Hannah-Arendt-Preis, und die Jüdische Gemeinde der Stadt ist empört. In einem offenen Brief kritisiert ihr Präsidium die grüne Heinrich-Böll-Stiftung und den Bremer Senat. Beide verleihen den Arendt-Preis jährlich an Persönlichkeiten, welche "das 'Wagnis Öffentlichkeit' angenommen haben und das Neuartige in einer scheinbar sich linear fortschreibenden Welt denkend und handelnd erkennen und mitteilen", wie es in den Regeln der Preisverleihung etwas holprig heißt.
Tony Judt, der das Erich Maria Remarque Institut an der New York University leitet, gehört in den Kreis derer, welche das "Wagnis Öffentlichkeit" auf sich nehmen und damit genau den Ansprüchen gerecht werden, die die Träger des Vereins gestellt haben. Seit Jahren beeindruckt Judt seine Leserschaft durch scharfsichtige und kluge Studien über die Ideologien des 20. Jahrhunderts. Sein jüngstes Buch "Die Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart", die letztes Jahr in Deutschland erschien, gilt als gelungene Verbindung aus Geschichtspolitik, postnationaler Historiografie und Gesellschaftsgeschichte.
Missmut erregte der einst glühende Zionist Judt allerdings durch einen Aufsatz in der "New York Review of Books", den er 2003 geschrieben hatte. Darin attackiert er Israel. Das Land sei in den Nationalismus zurückgefallen, und es bleibe nur eine binationale Lösung, wenn der Konflikt mit den Palästinensern je beendet werden solle. Daraufhin empörte sich Judts langjähriger Freund, der Publizist Leon Wieseltier im Magazin "New Republic": "Ich habe noch nie jemanden getroffen, der das für irgend etwas anderes gehalten hätte als einen Aufruf zur Vernichtung des jüdischen Staates."
Die Vertreter der "Jüdischen Gemeinde im Land Bremen" beziehen sich auf diesen Streit, der in den Vereinigten Staaten heftige Kontroversen um Judt auslöste. Sie werfen der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Senat vor, bewusst einen Juden als Preisträger ausgewählt zu haben, der genau die "antizionistischen Klischees" ausspreche, die ein "deutscher Autor nach Möllemann" nicht mehr im Munde zu führen wagte. Judts Äußerungen zu Israel seien keine Kritik an der Regierung in Jerusalem, sondern stellten die Existenz des jüdischen Staates in Frage. Judt vertrete eine "antiisraelische Haltung", die vielleicht Israelis in der innerisraelische Debatte zustünden, aber nicht Außenstehenden. Noch pikanter werde es, "wenn einer erst durch solche Äußerungen prominent und mit Preisen überschüttet wird".
Die Jury, deren Wahl auf Judt fiel, verweist hingegen auf "die Persönlichkeit, die sich in der öffentlichen Debatte über Europa und den Westen auf vielfältige Weise engagiere". Von der Empörung in Amerika will sie nichts mitbekommen haben.
Der Preis, der mit 7500 Euro dotiert ist, wird heute Vormittag verliehen. Der ungarische Philosoph und Publizist Gáspár Tamás hält die Laudatio. Im Anschluss diskutiert eine internationale Runde, an der auch eine israelische Historikerin teilnimmt, mit dem Preisträger.


8. Im Laufe desselben Tages verschickte der Hannah-Arendt-Verein eine Meldung, die von der dpa übernommen wurde. In diesem Text wird weder der Protestbrief noch irgendeine Kritik oder sonstige Abweichung von der festlichen Stimmung erwähnt.

9. Am Abend desselben Tages sendete das Fernsehmagazin "Buten un Binnen" einen pikanten, obwohl offensichtlich ernstgemeinten Beitrag zur Preisverleihung, in dem der Moderator u.a. sagte:

Er ist Sohn jüdischstämmiger Eltern und lebt in New York.
...Judt gilt als ein Israelkritiker. Deswegen hat die Jüdische Gemeinde die Preisverleihung kritisiert.


10. Die TAZ hat am 1.12.2007 die unautorisierte Übersetzung der Rede des Preisträgers online gestellt und kommentiert:

In seiner Festrede über "Das ,Problem des Bösen' im Nachkriegs-Europa" anlässlich der Hannah-Arendt-Preisverleihung 2007 hat der Preisträger Tony Judt auch die Frage der Kritik an der israelischen Politik aufgegriffen. "Wenn mir gesagt wird, dass ich meine Kritik an Israel besser nicht zu laut äußern sollte, aus Angst, die Geister des Antisemitismus heraufzubeschwören, dann antworte ich, dass es genau andersherum ist", sagte Judt. Denn die Wahrheit sei, "dass Israel heute nicht in existentieller Gefahr ist".


11. Am selben Tag publizierte Robert Best einen großen Artikel im "Weser Kurier":

Eine umstrittene Ehrung
Historiker Tony Judt erhält den Hannah-Arendt-Preis

BREMEN. Eine vergleichbare Empörung gab es in der 13-jährigen Geschichte des Hannah-Arendt-Preises noch nie. Sie richtet sich gegen den Preisträger - den britisch-jüdischen Historiker Tony Judt - und kommt vor allem von Elvira Noa und Grigori Pantijelew von Bremens Jüdischer Gemeinde. Die beiden wandten sich in einem offenen Brief an die Hannah-Arendt-Jury, den Senat der Hansestadt Bremen und die Heinrich-Böll-Stiftung, die Judt den mit 7500 Euro dotierten Preis gestern im Rathaus verliehen hat. In dem Brief heißt es: "Wenn einer - jahrein, jahraus - sagt, Israel sei ‚umstritten’, ‚gehasst’, ‚ein Besatzer und Kolonialist’, ‚eine strategische Belastung’, ‚ein politischer Anachronismus’ etc., stellt sich die Frage: Was das soll?" Und: Judt gehöre zu denen, die "antizionistische Klischees aussprechen, die einem deutschen Autor nach Möllemann schlecht zustehen".
Seit Jahren tritt Judt mit Thesen in Erscheinung, die ihm einen Ruf als Vordenker, aber auch als politischen Provokateur einbringen. So trat er 2003 in einem Essay für eine Ein-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt ein, für eine Nation, deren Bürger gleichermaßen Juden wie auch Christen und Moslems sein können.
Die Idee von Israel als rein jüdischem Staat habe sich überlebt, sagt er mit ruhiger Stimme. Sie sei unvereinbar mit einem demokratischen Anspruch. Schon heute lebten 22 Prozent nichtjüdische Menschen in Israel. Dem Einwand, ein binationales Modell könnte das Ende des Staates sein, kontert Judt mit der Bemerkung, es sei vielmehr seine einzige Alternative, wenn es nicht in "Selbstwidersprüchen" versinken wolle.

Auch Israels Verbindungen zu den USA kritisiert Judt mit harschen Worten. Es sei für beide Staaten sinnvoll, wenn "die bedingungslose Unterstützung" der USA ein Ende habe. Israel sei "an sich kein gefährdeter Staat": Es habe gute Verbindungen zu Ägypten und Jordanien, und auch mit Syrien sei ein Übereinkommen zu finden. Gefährlich sei indes die enge Bindung an die USA, die Israel zu einer Zielscheibe in Nahost mache. Israel erscheine "nicht überzeugend", wenn es vielerorts als "Flugzeugträger Amerikas" wahrgenommen werde.
Nicht im Interesse des Landes sei daher auch der Einfluss der "Israel-Lobby" in Washington, sagt Judt. Zudem würde diese ihre Kritiker zum Schweigen bringen. Judt bezieht sich auf pro-israelische Interessensvertreter wie die Anti Defamation League (ADL) oder das Israel Public Affairs Committee. Vor einem Jahr ist ein Vortrag Judts im polnischen Konsulat in New York kurzfristig abgesagt worden. Judt und andere machten dafür die ADL mitverantwortlich. Der Kommunitarismus in den kulturellen Gemeinden der USA sei so stark, so Judt, dass viele sich in Selbstzensur übten.

Auch die Vorwürfe der Jüdischen Gemeinde Bremens tut er als Anmaßung ab: "Sie können nicht anderen Juden sagen, was sie tun oder lassen sollen." Es gebe einen Unterschied zwischen Kritik und Antisemitismus. Einfach zu erkennen sei letzterer indes oft nicht, gesteht er ein: "Es ist wie mit Pornografie - sie ist nicht zu definieren, aber du erkennst sie, wenn du sie siehst." Israel sei jedoch nicht geholfen, wenn man über seine "aggressive Politik" schweige. Vielmehr sei es das Schweigen selbst - auch das über die Vernichtung der Juden in Europa -, das Vorurteile erzeuge.
Heute sei Europa indes auf dem Wege, zu einem Modell für andere Staaten und Gemeinschaften in der Welt zu werden, sagt Judt. Man müsse Europa nur verlassen, um sich seiner Stärken bewusst zu werden. Vielerorts werde die "gelungene Kombination von Marktwirtschaft und Sozialstaat, von demokratischen Institutionen und offener Gesellschaft" geschätzt. Wenn Europa nicht zu einem geschlossenen Auftritt finde, so Judt, dann verspiele es seine Chance, eine Alternative zu China und den USA abzugeben und werde letztlich irrelevant.


12. Darauf antwortete das Präsidium der Jüdischen Gemeinde sofort mit einem Leserbrief, der allerdings erst am 8.12.2007 veröffentlicht wurde:

Zum Artikel "Eine umstrittene Ehrung" vom 1. Dezember:

Bitte um mehr Normalität
Wir begrüßen die ausführliche Darstellung der umstrittenen Hannah-Arendt-Preisverleihung. Die Stimme einer Jüdischen Gemeinde muss nicht als Mahnung wahrgenommen werden: Wir hätten gerne mehr Normalität eines Dialogs auf gleicher Augenhöhe.

Das setzt aber unter anderem voraus, dass man einander zumindest nicht ignoriert. Wir haben auf unseren Brief keine Antwort bekommen, weder von der Jury, die sich der Förderung des politischen Denkens und Diskurses verschreibt, noch von der Stiftung noch vom Senat.

Es ist uns wichtig zu betonen, dass unser Protest nicht nur gegen Judt, sondern vor allem an die Entscheidungsträger gerichtet ist. Erst durch unseren Brief wurden die Medien hellhörig und brachten kritische Punkte ins Gespräch - die Jurybegründung schweigt darüber bedeutungsschwer.

Der gelungene Beitrag der Zeitung zeigt deutlich, wie die Verteidigung der Juryentscheidung dem narzisstischen Preisträger überlassen wird.

Die Institutionen, die sich weiterhin bedeckt halten, beweisen auf diese Weise - aus Angst vor unseren Argumenten? - mangelhafte Fähigkeit zur offenen ausgewogenen politischen Diskussion. Sowohl die Preisverleihung als auch eine Diskussion wurden auf die Schabbatzeit angesetzt, also die Zeit vom Freitag- bis zum Samstagabend, was automatisch Jüdinnen und Juden von der Teilnahme ausschließt.

Wenn wir selbst nicht aktiv geworden wären, wüsste vielleicht keiner mehr, dass daran etwas nicht stimmt. Wie schön, dass es Zeitungen gibt.

ELVIRA NOA UND DR. GRIGORI PANTIJELEW,
JÜDISCHE GEMEINDE BREMEN


13. Am 4.12.2007 bekam ich die Grußrede der zweiten Bürgermeisterin der Stadt Bremen Karoline Linnert bei der Preisverleihung. Darin geht sie unter anderem auch auf den Protest der Jüdischen Gemeinde ein. Im Begleitbrief berichtete deren Referentin, dass Frau Linnert darüberhinaus noch einige Gedanken über unerschrockene, mutige und unbequeme Meinungen, die dadurch nicht unbedingt immer richtig seien. In dem Zusammenhang bezeichnete Frau Linnert es als wichtig, die Auseinandersetzungen über Meinungen ohne Starrsinn zuzulassen, die Bereitschaft sich dem Austausch zu stellen und dazu zu lernen. So könne aus dem Dialog etwas Fruchtbares entstehen.

(Als eine Bemerkung möchte ich hier ergänzen, dass es inzwischen zu einem klärenden Gespräch zwischen dem Präsidium der Jüdischen Gemeinde Bremen und Karoline Linnert gekommen ist. Vorbildlich!)

14. In der "Jüdischen Zeitung" (Dezember-Heft 2007) hat Frank König im Artikel "Lob und Tadel" verschiedene Stimmen beschrieben, u.a. auch aus dem Protestbrief zitiert sowie eine Reaktion der Vorsitzenden der Jury, Antonia Grunenberg, wiedergegeben. Sie

ist empört über "einen derartigen Brief", der völlig unsachlich "gegen eine einzelne Person, nämlich gegen Tony Judt, in diffamierender Weise vorgeht und damit gerade eine Art der Kritik öffentlich praktiziert, gegen die Hannah Arendt zeitlebens energisch protestierte".


15. Am 2.1.2008 habe ich den Text des Radiobeitrags von Wolfgang Stenke bekommen, der am 29.11.2007 im WDR und NDR gesendet wurde. In der Einführung wird zuerst die bekannte Unwahrheit weiter verbreitet: Angeblich wurde Judts Vortrag im polnischen Konsulat in New York durch die Einmischung des jüdischen Lobby verhindert - in Wahrheit durch die Entscheidung des Konsulats angesichts der bilateralen Beziehungen zwischen Polen und Israel. Weiter - im Besitz des Protestbriefs der Jüdischen Gemeinde - wird die Unwahrheit verbreitet, am Samstag finde eine Diskussion Judts mit seinen Kritikern statt.

Im weiteren Verlauf wird Tony Judt selbst dazu befragt. Seine Antwort:

Clearly, they have only read one article I’ve written (...) and so they are not in a good position to make judgements, it seems to me. (...) I lived in Israel many years ago. Maybe I know a little more about the Middle East than some of the people in the Bremen Jewish Community and I really feel that it’s a pity that they should set themselves up as official authorities on who can and who can not speak about Israel.

The tragedy is that a uniquely jewish state is becoming increasingly impossible, because there will soon be a majority of Arabs in the territory governed by Israel. A 2-state-solution would still be in my view the best outcome, but I don’t see it happening in any way which will be acceptable to both sides. And this, I think, is a truth which is very unwelcome to many of my critics.


Judt, wie wir ihn kennen: Unterstellungen und persönlich gefärbte Argumente, völlig losgelöst von der Realität, wenn es um die Politik geht.
Stenke schliesst sich Judt an:
Den Protest der Jüdischen Gemeinde Bremen gegen die Wahl der Jury sieht Judt als Versuch der Zensur.

Das tut Judt immer, wenn er sich mit Kritik konfrontiert sieht. (Das kann man bei Leon Wieseltier nachlesen, verlinkt bei "Sendungsbewusstsein".)
Noch deutlicher ist die weitere Parteinahme des Autors:

Die Repräsentanten der Jüdischen Gemeinde Bremen bleiben bei solchen Verdikten nicht stehen. In ihrem offenen Brief wird die Arbeit von Tony Judt pauschal diskreditiert, sein jüngstes Europa-Buch als Ansammlung „vieler Geschichtchen“ verworfen, ohne – Zitat – „ein System bzw. eine Vision der Geschichte“. Als Basis dieses Urteils bemüht man den Pressedienst „Perlentaucher“, auch wenn der – mit Ausnahme einer Buchkritik der „Neuen Zürcher Zeitung“ - durchweg anerkennde Stimmen zu Judts Studie nachweist. Solch manipulativer Umgang mit publizistischen Quellen paßt zur Etikettierung eines renommierten Gelehrten [...]

Stenke fragte mich in einem Telefonat, warum denn das Buch von Judt von uns so negativ bewertet werde, und bekam von mir eine Empfehlung, auf einem einfachen Wege Kritiken durchzulesen, weil sie eben beim Perlentaucher.de aufgelistet wurden. Wäre er diesem Rat gefolgt, hätte er zitieren müssen:

Er rekonstruiert Zusammenhänge, liefert aber keine große Theorie ... Spezialisten werden wenig Neues erfahren (und an manchem Detail etwas auszusetzen haben), aber das würde die gelungene Synopse und ein faszinierendes Narrativ verkennen, das an Ironie und Sarkasmus nicht spart und wohldosiert Anekdoten und Reiseeindrücke einfügt ... [Claus Leggewie,"Die Zeit" vom 28.9.2006]

Radikale Pluralität hingegen statt der "großen Erzählungen", das ist das Signum der Postmoderne. Deren Kind ist so gesehen auch dieses Buch, im Hinblick auf die Geschichtsschreibung ebenso wie auf ihren Gegenstand. ... Diese These ist wie das gesamte Buch weniger stringent und systematisch oder in klaren Kategorien herausgearbeitet als vielmehr rhapsodisch und durchaus eklektisch argumentiert, auch nicht ohne Widersprüche und Einseitigkeiten. [Andreas Rödder, FAZ vom 4.10.2006]

Fazit: Ein langes Buch mit viel Inhalt, aber ohne grosse These, ohne Zusammenhalt. [Ute Frevert, NZZ vom 2.10.2006]

Tony Judts Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart gehorcht keiner Großtheorie. Auch ein überwölbendes Motiv hat sie nicht; sie mäandert durch eine Vielzahl disparater Themen ... [Christoph Boyer, sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 {15.05.2007}


Auch die lobenden Rezensionen sind sich also einig im Bezug auf die zwei Kritikpunkte, die im Protestbrief erwähnt werden. Der Leser kann selbständig beurteilen, wer hier manipuliert... Stenke weiter:

Fazit: Mit seinem „offenen Brief“ hat der Vorstand der Bremer Gemeinde sich vergaloppiert . Er hat jedes Recht, Judts Thesen der Kritik zu unterziehen – auch einer polemischen. Doch der Versuch, einem international geachteten Historiker die wissenschaftliche Reputation abzusprechen, wird von dieser Lizenz zur Kritik nicht gedeckt.

Das wird langsam langweilig. Die Reputation von Judt ist längst problematisch - grundsätzlich seitdem er über das Thema Israel angefangen hat zu publizieren, und zwar in unwissenschaftlicher Art und Weise, mit der nachgewiesenen Verdrehung von Zitaten (siehe die Reihe der Postings im Blog "Sendungsbewusstsein") und insbesondere nachdem er anschliessend seine Unfahigkeit gezeigt hat, mit Kritik umzugehen. Er darf seine "Israelkritik" genauso aussprechen wie jede andere private Person, die darüber nicht schweigen kann. Je mehr er das tut, desto weniger bleibt von seiner Reputation. So einfach ist das! Wem das alles noch zu wenig ist, kann sich noch eine kleine Auswahl von englischsprachigen Texten zum Thema Judt antun - von Sol Stern bei "FrontPage Magazine", von Adam Kirsch bei "New York Sun", von Rick Richman bei "Jewish Current Issues".
Genauso wenig übrig bleibt von der Reputation des Preises und seiner Jury. Wann merkt das die Heinrich-Böll-Stiftung? Wann kommen Schlussfolgerungen?