24. Februar 2008

Musikvermittler unter sich

Seit Jahren arbeite ich an dem Thema, wie man die Musik interpretiert - in der Aufführungskunst und im Wort. Viele Artikel, viele Seminare sind ein Resultat davon. So interessiert mich selbstverständlich, was Kollegen auf dem Gebiet machen. Es ist nämlich nicht immer goldig! Das fand die "Jüdische Zeitung" im Februar 2008 auch:

Schubert Germanicus
Nicht jeder will über Musik reden – die meisten Melomanen befürchten dabei einen viel zu großen Verlust an musikalischer Immanenz. Einerseits kann das ja auch passieren, wenn ein Meisterwerk in plumpe Banalitäten übersetzt oder in allzu technischen Begriffen nacherzählt wird. Andererseits gibt es zum Reden eben keine Alternative, denn nur über das gesprochene Wort verständigen wir uns und tauschen unsere Musikauffassungen aus. Besonders wortgewaltige Musikliebhaber schreiben ihre Klangvisionen auf – so wie Thomas Mann uns gelehrt hat. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist eine neue Form der Musikvermittlung entstanden, von der das Radio insbesondere profitiert.

Einige der Musiksendungen sind inzwischen traditionsreich und beliebt. Oder besser gesagt, ihre Autoren. Einer der berühmtesten auf diesem Markt ist Joachim Kaiser. So auch zu Beginn des Jahres: Im Deutschlandfunk erklang seine Einführung in die Große C-dur Symphonie von Franz Schubert. Zwei Eigenschaften dieser Sendung machen sie besonders interessant und exemplarisch - die ernsthaft gemeinte Germanisierung des Gegenstandes und die normative Kunstauffassung.

Kaisers Schubert lebt in einem Geistesland. Weder biografische noch historisch relevante Details werden vermittelt, dafür umso mehr angedeutet bis ausgesprochen, wie germanisch seine Musik sei. Dazu gehören Begriffe wie Wandern, Wald, Schlösser und Echo. Wer sich dafür nicht interessiere, der könne Schubert nicht erschließen. Um das zu betonen, erzählt Kaiser sein privates Gespräch mit Gershom Scholem nach: Der Germane Kaiser fragte den Juden Scholem, ob dieser Lust habe, im Wald spazieren zu gehen. Darauf antwortete jener: „Wir Juden gehen lieber ins Kaffeehaus!“ Es folgt eine gut gemessene Pause. Währenddessen sollte einem jeden klar werden: Die Germanen gehen nie ins Kaffeehaus; Schubert wusste bestimmt nicht einmal, was das ist; Juden ihrerseits haben den Wald nie von innen gesehen. Wäre diese Anekdote eine Ausnahme, würde ich das für einen Anfall der Eitelkeit halten. Dem ist jedoch nicht so, weiter werden mehrere nichtgermanischen Persönlichkeiten eingeführt – betont unterstrichen wie „der Rumäne Celibidache“, der Schubert „behäbig“ spielte, sowie Bruno Walter, der aus unerwähnten Gründen „1933 emigrieren musste“ und „fast amerikanisch“ musizierte. Charles Mackerras schafft es nur bis zu „etwas substanzlos“: Der plappere ja nur, ihm fehle „das Emphatische“. Leonard Bernstein ermangelte es am „Geheimnisvollen“. Auch mit dem „abgründig Traurigen“ konnte dieser nicht viel anfangen: „Damit wird aber Entscheidendes versäumt“.

Es bleiben zwei, die alles richtig gemacht haben, - Furtwängler und Wand. Es erübrigt sich zu betonen, dass beider Germanischkeit sicher ist. Die besonderen Qualitäten der meisterhaften Aufnahmen werden in höchst pathetischer Sprache aufs ausführlichste gepriesen. Irgendwann am Ende der Sendung kommt dann doch die Krönung der Argumente: Die Furtwängler-Aufnahme 1942 sei deswegen besonders gelungen, weil sie aus der Zeit stamme, als „die Stalingrad-Katastrophe ankam!“ Sie ist tatsächlich aber bei Konzerten entweder am 30. Mai oder vom 6.-8. Dezember entstanden. Genau weiß man das bis heute nicht. Tja, wie auch immer, die sogenannte Katastrophe wurde aber im Januar real und erst im Februar 1943 der breiten Öffentlichkeit bekannt. Furtwängler konnte sie im Monat Dezember noch nicht spiegeln (im Mai noch weniger). Außerdem war er mit seinen Konzertreisen durch das besetzte Europa sowie mit der Wiener „Tristan“-Inszenierung noch zu ausgelastet, um sich über die eine oder andere bevorstehende Katastrophe Gedanken zu machen.

Karl Böhms Referenzaufnahme mit ihrer Wiener Färbung taucht nicht auf - ebenso wie „Österreich“, „Wien“ keinerlei Erwähnung finden. Ich könnte noch ein Dutzend sehr unterschiedlicher Dirigenten nennen, die ihren Schubert gefunden haben. Es gibt nämlich keine einzig richtige, für alle Zeiten mustergültige Interpretation.
Schubert durch Stalingrad zu ziehen, scheint eher Teil der Erinnerungskultur eines kriegstraumatisierten Menschen zu sein. Auch wenn diese Erinnerung, wie gezeigt, etwas verzerrt ist, bleibt sie durchaus ein Fakt: So hört Kaiser Schubert eben, das ist seine zeitbedingt entstandene Auffassung, die als privates Dokument sehr wohl ihre Berechtigung hätte. Nur wird sie als Mittel patriotisch orientierter Kulturdeutung ausschlaggebend eingesetzt. Eine deutsche Musikinterpretation als einzig wahre Norm - muss das sein?

1 Kommentar:

ansara hat gesagt…

Ach, der Artikel spricht mir aus der Seele- wenngleich ich mich sicherlich sehr viel schlichter ausgedrückt hätte (aber verstanden habe ich ihn schon...). Wandern, Wald, Schlösser und Echo...und ich gehe so gerne in Kaffeehäuser! Schön, dass mal jemand Herrn Kaiser kritisiert, gemeinhin "darf" man das nämlich nicht (genausowenig wie Goethe, Thomas Mann, Hermann Hesse usw.). Und dann ist der kleine Schubert noch nicht einmal Deutscher gewesen...und zu seiner Zeit existierte ein Deutschland als Staat noch gar nicht...und was würde Herr Kaiser dazu sagen, dass ich, ungeachtet der Nationalität des Dirigenten, bei Musik einfach nach meinem Geschmack entscheide?