7. März 2008

Aus der Medienküche

Einseitig, dämonisierend, unausgeglichen... Worüber schreibt man so? Nichts Neues? Kann man nicht mehr davon hören und lesen? Sollen sie schreiben, was sie wollen?
Geht das vielleicht auch anders: sie schreiben und wir antworten? Zum Beispiel so ("Judische Zeitung", März 2008):

Das abenteuerliche Leben der Mörder
Drei Blicke auf den Nahostkonflikt

Der Blick auf die Ereignisse im Nahen Osten war zu keinem Zeitpunkt unparteiisch. Man hat dieselben Fakten gerne unterschiedlich ausgelegt. Die Medien sind darüber hinaus imstande, Fakten zu verschweigen oder selektiv darzustellen. So gut wie jeden Tag werden wir mit einseitigen und vorurteilsbehafteten Meldungen konfrontiert. Eine der Folgen ist, dass die Zahl der sogenannten Freunde Israels rapide steigt. Das sind allerdings oft solche Freunde, die dem Freund wohl all das sagen „dürfen“ wollen, was seine Feinde seit je wiederholen.

Ulrike Putz berichtet im "Spiegel" aus Gaza (fünfmal schreibt sie allein im Januar 2008 zum Nahostkonflikt): „Am Mittwochmorgen um drei Uhr früh sprengten Bewaffnete den acht Meter hohen Grenzzaun, der Gazas Südgrenze nach Ägypten absperrte. […]In der vergangenen Woche verschärfte sich die Lage in dem abgeriegelten Landstrich, als Israel auf intensivierte Raketen-Angriffe mit einer vollständigen Blockade reagierte.“ An anderer Stelle: "Zehntausende Menschen ziehen los, um noch das Nötigste aus dem Nachbarland zu holen.“

Hier wie dort wird suggeriert: Menschen brechen spontan in die Freiheit aus, aus der Not, die durch Israels Blockade ausgelöst wurde. Welche Freiheit? Die Antwort lautet: „Wer als Deutscher das Spektakel im Wüstensand betrachtet, kommt nicht umhin, sich an den Mauerfall vom 9. November erinnert zu fühlen.“ Ist die Rollenverteilung klar? Erst viel weiter wird zugestanden: „Der Durchbruch nach Ägypten ist von langer Hand vorbereitet worden, und in Gaza geht das nicht ohne die Hamas.“ Die „New York Times“ hat die Hamas-Planung längst mit Fakten belegt. Der „Spiegel“ zweifelt immer noch.

Die von Putz befragten Gaza-Bewohner schildern ihr Leiden höchst persönlich. Als Höhepunkt dieser Wolfsschluchtszene bringt Putz das Licht ins romantische Leben ihrer Gastgeber: „Tag für Tag landen ihre archaischen Bomben in israelischen Dörfern, Feldern, Kibbuzen. Israel antwortet, indem sie [sic!] die Mitglieder der Kassam-Kommandos per Luftschlag tötet.“ Einerseits „archaische“ Raketen, die verharmlost werden, - sie „landen“ ja nur, andererseits Israel, das „tötet“. Sie zitiert Bombenbauer: "Die Blockade der Israelis trifft uns nicht, die soll nur die Bevölkerung ins Elend stürzen." Dieses Bekenntnis wird von der Journalistin weder kommentiert noch in Frage gestellt, genauso wenig wie das andere Zitat: "Und guck dir die Israelis an, die haben F-16 und Apache-Helikopter und könnten wunderbar genau schießen. Und trotzdem töten sie unsere Frauen und Kinder." (Zur frappierenden Ungenauigkeit dieser Behauptung kommen wir noch.) Dafür beschreibt Putz viel ausführlicher die Raketen-Hexenküche, in der Sprache der Grimm-Märchen („Es riecht nach Silvester-Feuerwerk“).

Wenn sie sich aus Jerusalem meldet, erscheinen dagegen keine einzelnen Menschen: Die Rede ist vom Versagen der israelischen Regierung und des Militärs. Israels Sicht auf die Ereignisse transportieren anonyme Agenturmeldungen, wie vernebelt, aus weiter Entfernung. Meinungen werden ausschließlich aus der Zeitung „Haaretz“ angenommen, bevorzugt aus Sicht des sogenannten Friedensblocks. Sie alle sind von dem Bericht der Winograd-Kommission „enttäuscht“, denn darin kommt Olmert „ungeschoren davon“. „Das Wort der Vernunft“ hört die Autorin von Tom Segev, der diesmal als „altgedienter Kommentator“ eingeführt wird. Sie schlussfolgert: „Während des einmonatigen Kriegs wurden auf libanesischer Seite mehr als 1200 Menschen getötet, auf israelischer Seite starben rund 160 Zivilisten und Soldaten.“ Also Menschen auf der einen Seite, auf der anderen Seite dagegen Zivilisten und Soldaten. Soweit zur Sprache von Ulrike Putz.
Subtiler geht Bruno Schirra vor. Kein Wunder, sein Artikel erschien in der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“. Doch auch er berichtet aus Gaza, auch er gibt den Konflikt aus Sicht der Terroristen wieder. „Ein Frontbericht“ soll ja erschaudern. Ausgiebig zitiert er Hassbotschaften, malerisch zeichnet er „verzückte“ Zuhörer: „Ihre Augen leuchten glückselig“. Direkt benennt Schirra die aktuelle Lage der Palästinenser: „Krieg aller gegen alle, Islamisten gegen Islamisten“. Es fehlt auch nicht die Al-Qaida, die mit einem globalen Krieg droht. Israel wird im Artikel zweimal erwähnt. Einmal als unfähiger Informant, der „nie überzeugend beweisen konnte“, was Schirra mit eigenen Augen sehen kann. Oder auch als Angreifer aus der Luft, der einen seiner bombenden Gesprächspartner ins Jenseits befördert. Israelis erscheinen auch bei ihm nicht, sie sind im Nebel des Krieges, irgendwo.
Beide Journalisten bedienen ein bestimmtes Publikum. Putz beschäftigt sich mit der Umkehr der Täter zu Opfern: Terroristen werden idealisiert, friedliche Palästinenser von ihrer Verantwortung befreit - alle Themen dienen dazu, Mauer mit Mauer zu vergleichen und Möllemanns Mühle weiter zu drehen. Möchte sie „israelkritisch“ sein? Nimmt die Redaktion antisemitische Zuschriften im eigenen Online-Forum wahr? Schirra erzählt über das Widerliche der Gewalt, als wüsste das noch keiner. Der Journalist und die Zeitung sind sich aber offensichtlich einig, dass ihre Leserschaft diese Belehrung braucht. Ist das ein jüdisches Thema, über die Mörder von Juden ausführlich zu schreiben? Sich Angst machen? Werden Grauengeschichten bei Juden untergebracht, weil sie das angeblich lesen möchten? Ein Paradoxon: Die einen sehen nur die eine Seite der Medaille, weil sie von der Rückseite nichts wissen wollen. Die anderen müssen nur die andere Seite lesen, weil die erziehungswütigen Medien das von ihnen so erwarten. Die Leser, die Putz vor Augen hat, sind voreingenommen, weil sie bereit sind, Israel an allem Unrecht zu beschuldigen, welches Palästinensern widerfährt. Schirra hält seine Leser für unwissend, sie lassen sich aber gerne über die bösen Hassprediger aufklären. Israelis werden in beiden Fällen ausgeklammert.

Geht es anders? Alan Dershowitz hat (auf der Internetseite „Huffington Post“) das schwierigste Thema angesprochen – die punktuelle Tötung der Terroristen, die von Israel praktiziert und von den verschiedensten Seiten angeprangert wird. Es ist die Zahl der zivilen Opfer, die als kollateraler Schaden angemeldet wurde und für die Öffentlichkeit – die israelische wie die mediale weltweit – inakzeptabel war. Sie befand sich in den Jahren 2002-2003 im Verhältnis 1:1, das heißt infolge der israelischen Angriffe starben genauso viele Zivilisten wie „Militanten“. Zum Teil ist das auch eine taktische Überlegung der Terroristen - mittendrin im zivilen Leben zu agieren und sich mit menschlichen Schildern zu umgeben sowie mit allen medialen Mitteln den Gegner in die Enge zu treiben samt den inszenierten oder fälschlich zugewiesenen Tötungen (die berühmtesten davon sind Al Dura und Ghalija). Insofern war es eine kriegstechnische Herausforderung ohne gleichen. Dershowitz bringt statistische Daten und zeigt, dass sich das Verhältnis und somit auch das Blatt nun gewendet hat: Bei einem Proporz 1:30 im Jahr 2007 verloren 30 Gewalttäter, aber nur ein Zivilist ihr Leben.

Immer noch grausam? Gibt es hier überhaupt einen Grund sich zu freuen? Das sind alles berechtigte moralische Fragen, nur werden sie angesichts der bedeutenden Verbesserung der technischen und taktischen Kriegsführung auffallend ignoriert – von den Medien und somit auch von der Öffentlichkeit. Über das abenteuerliche Leben der Mörder zu schwärmen oder sich zu empören ist leichter – eben moralisch leichter. So erzählt man weiterhin aus Sicht von Terroristen, die ohne Bedenken zu Freiheitskämpfern stilisiert werden. Die andere Perspektive bleibt vergessen und im Dunkeln: Entpersonalisierte Israelis degradieren zur anonymen Masse. Leichter Hand und kommentarlos werden falsche Behauptungen übernommen, die positiven Fakten auf israelischer Seite allerdings im selben Atemzug ignoriert, sei es die einmalige Fähigkeit zur Selbstkritik oder die einmalige Leistung in der Minderung der zivilen Opfer beim Krieg gegen Terror.