19. Juni 2008

Getarnt als Leserbrief

Wie soll die Kritik aussehen, wenn die Zeitung, für welche einer schreibt, von den "israelkritischen" Texten plötzlich überfüllt wird? Sollte man ruhig bleiben und weiter über die eigenen Themen nachdenklich philosophieren? Oder die Zusammenarbeit mit der Redaktion beenden?

Die Vernunft hat doch Überhand gewonnen: Ein offene und ehrliche Kritik wird vielleicht etwas bringen. Aus dieser Überlegung ist der folgende Text entstanden. Bringt der was?..

Zum Jubiläum nur das Gute, sagt der Eine und wünscht Israel gar das Beste. Nein, gerade das Jubiläum ist der beste Anlass, Kritik zu üben, meint der Andere und fragt nach dem Dialog mit der Hamas. Ach was - Kritik? - sagt der Dritte, er sehe überhaupt keinen Grund, bei diesen politischen Propagandaspielchen mitzumachen und bleibt bei seinem „Kein Kommentar“.

Solch ein breites Meinungsspektrum wollte augenscheinlich auch die „Jüdische Zeitung“ im Monat Mai präsentieren, nach dem Motto: Wir wollen die Realität der unterschiedlichen Sichtweisen abbilden.
Wie sieht das Resultat aus? Auf der zweiten Seite sind zwölf „Gratulationen, Gedanken und Emotionen“ platziert. Darunter die gesamte Palette – von Emotionen über „eine traurige Bilanz“ (Katzenstein-Leiterer) bis zum Eingeständnis „unserer historischen Schuld an der Vertreibung der Araber“ (Verleger). Auch finden sich solche Stimmen, die nicht zuerst an die Nakba denken, - vielleicht am treffendsten von Maya Zehden formuliert, die Israel „starke Partner unter den arabischen Nachbarn“ wünscht, „mit denen ein echter Frieden möglich ist“. Es bleibt trotzdem eine sichtbare Verschiebung des eigentlich zu erwartenden Jubiläumsproporz’ – fünf „kritische“ Stimmen gegen sieben solidarische. Spiegelt dies Verhältnis die Realität wider? Und schließlich: Wessen Realität, die jüdische oder die nichtjüdische? Passt das zur Jubiläumsausgabe?

Als Gegengewicht zueinander sind zwei große Texte auf den Seiten 8 und 9 gedacht, einerseits ein übersetzter Artikel von Gadi Taub, ein ernstzunehmender Beitrag zum Thema „Nationalstaat heute und Israel“, der von der Redaktion als eine weitere Stimme zur Jubiläumsdebatte eingesetzt wird, gegen Anti- und Postzionisten aller Couleur. Andererseits ein kampflustiges Interview, das Eik Dödtmann mit Efi Stenzler, dem Weltpräsidenten des Jüdischen Nationalfonds, geführt hat. Nicht so sehr stören die nicht untermauerten Vorwürfe, die der erfahrene Politiker mit Ruhe und Leichtigkeit abwehrt. Der Ton macht auch hier die Musik: Zum Jubiläum mal den kritischen Stil von der „Haaretz“ schnell nachmachen. In Israel ist die „Haaretz“ eine von vielen Zeitungen, wo sind hier aber die anderen israelischen Stimmen?

Die Krönung der publizistischen Strategie ist allerdings die Publikation auf der Meinungsseite eines lobenden Textes des im deutschen Internet bekannten Antizionisten Anis. Er bescheinigt der Zeitung, „kein zionistisches Hetzblatt“ zu sein, und Israel - „eine klassische Segregation“. Die OSZE-Antisemitismuskonferenz bezeichnet er als „unsäglich“. Das Existenzrecht Israels ist für ihn „ein philosemitisches Signalwort“.

Ich meinerseits bin dafür, dass all diese Stimmen publik werden, dass Martin Walser seine „Auschwitzkeule“ ausspricht, Möllemann seinen „Daswirdmanwohlsagendürfen“-Satz usw. Schließlich kann man darauf erst dann reagieren, wenn die Worte da sind. Man kann dann auch sehen, wer und ob überhaupt darauf reagiert. Was ich dabei erwarte? Dass all dies Zeug nicht primär eine explizit jüdische Presse zumüllt. Es gibt dafür genug andere Organe und Röhren.

Ich bestätige der Zeitung, dass sie die Realität spiegelt. Mit einer kleinen Einschränkung: Das ist die aktuelle deutsche nichtjüdische Medienrealität. Darin liegen die Stimmen pro und contra Israel in der hier gezeichneten Balance, darin wird zwischen Antizionismus und Antisemitismus mit allergrößter Sorgfalt unterschieden anstatt sich im Spiegel der Contentanalyse anzuschauen, darin werden die realen Probleme der israelischen Gesellschaft und Politik als das wichtigste Thema der Medien in Deutschland aufgestellt ohne dass man sich hinterfragt, ob das angemessen ist. Muss in diesen „Israelkritik üben“-Chor eine der wenigen „unabhängigen“ jüdischen Zeitungen mit einstimmen? Hat sie mit ihrer hochgeschätzten Redaktion und ihrem würdevollen Kuratorium keine andere Vorstellung von Ausgeglichenheit? Ist die Unabhängigkeit unbedingt noch eine zusätzliche Stimme „dagegen“?
Ich würde vorschlagen, dass wir, das heißt Autoren der „Jüdischen Zeitung“, nicht miteinander kämpfen, wer von uns den Zionismus besser verstanden und wer sich eher verbrumlikt hat, wer die Politik der israelischen Regierung schärfer anprangert und sich „jüdischer“ zeigt, sondern gegen die ausländerfeindliche Stimmung, die die deutsche Gesellschaft, deren Mitte wohlgemerkt, vergiftet und die Atmosphäre nicht nur für Juden schwierig macht. Integration, interkulturelle Kompetenz, Seminare, Studien, Befragungen. Egal, ob sie gut oder mittelmäßig sind, schon die Tatsache, dass sie notwendig geworden sind, ist ein bedrohliches Signal. Da ist unser gemeinsamer Feind. Wir müssen unsere Verbündeten suchen, in allen Schichten der deutschen Gesellschaft und die reale positive Arbeit fördern. Nörgeln können wir dann immer noch, das können wir sowieso besser, das wird uns auch keiner nehmen.

Auf den Spuren von der AFP

Noch eine kleine Story über die propagandistische Einseitigkeit der Medien. Sie wurde im April-Heft der "Jüdischen Zeitung" 2008 abgedruckt.

Medialer Krieg um ein totes Baby

„Nach Angaben von Augenzeugen und palästinensischen Sicherheitskräften drangen am Dienstagabend erneut israelische Panzer in den Gazastreifen ein. Im Süden des Küstenstreifens wurde ein palästinensisches Baby von einem israelischen Soldaten erschossen.“

Das berichteten deutsche Zeitungen Anfang März in würziger Kürze, mit Hinweis auf die AFP als Quelle. War das Ziel der gepanzerten Operation die Erschießung eines Babys?

Der Blick in die vollständige AFP-Meldung lässt etwas anderes vermuten: „Nachdem israelische Panzer in der Nähe des Übergangs Kissufim in den Gazastreifen vorgedrungen seien, hätten Hamas-Kämpfer mit Handfeuerwaffen und Mörsergranaten auf die Truppen geschossen, berichteten Augenzeugen aus Chan Junis. Ein Aktivist der radikalen Bewegung Islamischer Dschihad und ein Säugling wurden demnach dabei getötet.“

Diese Fassung bringt etwas mehr Licht ins Dunkel: Die bösen Israelis sind unterbeschäftigt und marschieren einfach so ein, werden von Freiheitskämpfern beschossen, mit zwei zivilen Opfern als Folge. Der Babytod wird hier zu direkter Folge des Krieges aufgespielt, den Israelis immer wieder anzetteln.

Erst in der Zeitung „Jerusalem Post“ findet man eine komplette Darstellung als ein zugegeben kaum lesbares Puzzle aus mehreren Meldungen vor Ort:

„Elite-Einheiten „Egoz“ haben einen Kommandeur vom „Islamischen Dschihad“ im Gazastreifen in der Nacht auf Dienstag getötet. Wie Radio Israel berichtete, war er nach Angaben der Armee einer der Terroristenführer in der Gaza-Stadt. Darüber hinaus wurden drei bewaffnete Palästinenser in den Kämpfen mit IDF-Truppen im Zentrum von Gaza nach palästinensischen Angaben getötet. Augenzeugen sagten, dass etwa 25 gepanzerten Fahrzeuge in Gaza durch den Übergang Kissufim eintraten. Die Soldaten verhafteten zwei Terroristen vom „Islamischen Dschihad“ und zogen sich nach zwei Stunden zurück, sagten sie. Vertreter des Verteidigungsministeriums sagten, dass das direkte Ziel der präzis geplanten Operation in Chan Junis Terroristen waren. Die IDF bestätigte, dass die Operation beendet ist. Die Augenzeugen sagten, dass während der Auseinandersetzung IDF-Panzer Granaten feuerten und Hubschrauber mit Raketen angriffen. Offizielle Vertreter der palästinensischen Medizin sagten, ein ein Monat altes Mädchen wurde dabei von einem Querschläger getötet. Auch acht bewaffnete Männer und drei Zivilisten wurden leicht verwundet, sagten sie.“

Dank dieser sperrigen Information kann man endlich erkennen, dass dies eine so genannte gezielte Operation war. Einer der lokalen Führer des „Islamischen Dschihad“ sollte verhaftet werden, während der Schießerei kam er ums Leben, seine Wachleute wurden leicht verletzt. Dabei kam es auch zu dem schrecklichen Zwischenfall, bei dem das Kind starb.

Drei verschiedene Darstellungen, wie kommen Journalisten selbst damit klar? Der Redakteur war verblüffend offen: „Unsere Mitarbeiter haben keine Zeit, eine Meldung zu Ende zu lesen“. So sind die drei zitierten Zeilen der Pressemeldung zum Knüller geworden. Weder der Rest noch die Zusammenhänge, weder Sinn noch Auswirkung interessierten jemanden. Das ist der Medienalltag. Im Klartext: Kein Journalist stolpert darüber, wenn die „Agence France-Presse“ auf einer markanten Stelle ein Baby von einem israelischen Soldaten direkt töten lässt. Dies anzunehmen bzw. dem zu glauben ist so selbstverständlich geworden, dass die Wahrheitsprüfung dieses absurden Satzes nicht stattfindet.

Die Nachfrage bei der AFP ergab mehr. In deren schriftlicher Antwort steht: „Im Gegensatz zu der von Ihnen zitierten Berichterstattung in der "Jerusalem Post" berichteten unsere Quellen vor Ort - Krankenhausmitarbeiter im Süden des Gazastreifens -, das Baby sei von israelischen Soldaten bei einem Schusswechsel mit bewaffneten Palästinensern erschossen worden; von einem Querschläger war dabei nicht die Rede. (…) Die von Ihnen beanstandete Textstelle stammt aus einer Zusammenfassung vom 5. März, in der die Information vom Vorabend nur noch kurz in zwei Sätzen erwähnt wird. In diesem Fall wurde allerdings entgegen den Gepflogenheiten die Quelle nicht mehr genannt und eine Unschärfe in der Formulierung eingebaut, was wir bedauern.“

Na, dann ist alles gut. Wenn Israelis in jedem Satz ihre Quellen benennen, ist das nichts. Wenn die AFP keine Quellen nennt und dabei „eine Unschärfe einbaut“, dann ist dies nur zu „bedauern“. Ich bedauere die Millionen Leser, die auf die Weise zu Opfern des medialen Kriegs werden.